Montag, 31. Dezember 2012

Tell Amarna

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Die Königsresidenz des Ungeliebten.
Das Beste an Echnaton sei seine Frau. Nofretete, die Stolze, die Schöne, Mandelaugen, schlanker, hoher Hals, gelassener Blick, gerade Nase, etwas geringschätzige Mundwinkel. Der längliche Kopf und die hohe Krone bilden ein Dreieck, einen nach oben offenen Trichter.
Ihre in lebensechten Farben gehaltene Büste thront im ägyptischen Museum Berlin, geheimnisvoll beleuchtet wie ein stilles Ereignis, und beherrscht lange Gangfluren und Scharen devoter Besucher, die ihr huldigen.
Der König dagegen, abstoßend realistisch dargestellt mit Spitzbauch und breiten, weichlichen Hüften nach der von ihm selbst geschaffenen Amarnakunst, im Nationalmuseum Kairo. Überlebensgroß. Zwischen in stein gehauenen Tieren und Mumien.

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Echnatons religiöse Revolution, ein Jahrhundert vor Mose, gibt Rätsel auf. Sonnengott Aton als einziger verehrbarer Gott Ägyptens. Monolatrie, Kultzentration. Aufstand rivalisierender Priester. Die Einheit des Landes der vielen Götter in Gefahr, sobald nur mehr einer verehrt werden durfte.

Aton als Sonne, als Schöpfer, der seine Geschöpfe liebt, Pflanzen, Tiere und Menschen, und sie mit Sonnenstrahlen streichelt. Liebevolle Bilder: die Königsfamilie sonnenbeschienen. Ein wunderbarer Text: der große Aton-Hymnus, der das emsige Treiben Ägyptens besingt als Liebesgabe des Gottes bei Tag – denn die Nacht ist und bleibt Widerpart und Grenze des Gottes. Man vermerke, dass ein Jahrhundert später die Israeliten gerade in der Nacht ausbrechen aus der Sklavenschaft.

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Als ich ankam, war es noch finster.
Mit zwei oder drei anderen Fahrgästen kletterte ich um fünf Uhr früh aus dem drittklassigen Zug – ein anderer hätte hier nicht gehalten. Über eine Nilbrücke steuerte ich auf Mallawi zu. Im Neonlicht der Straßenlampen sah ich Ratten weghuschen, als ich frierend in die menschenleere Stadt hineinschritt. Der Muezzin hatte sein kurzes Gebet im Morgengrauen verrichtet – ich stieg zur Moschee hinab auf der Suche nach einem warmen Platz, aber es wurde gerade zugesperrt.
Später fand ich einen Kiosk, wo es heißen Tee gab und ein Gebäck, das bei uns „gebackene Mäuse“ geheißen hätte. Ich fragte dort nach einem Bus nach Tell Amarna, das einige Kilometer entfernt war. Im Nu stand eine Gruppe Männer da, die zu meinem Anliegen berieten. Aber niemand wusste von einem Bus. Schließlich wurde ich zum Museum geschickt. Der Polizist dort würde eine Lösung finden.
Nach dem Frühstück im Stehen kam ich also zum Museum und stellte dort mein Anliegen vor. Ich durfte die bequeme Toilette benützen und erhielt danach Hinweise auf eine bevorstehende Lösung. Und wirklich, am Vormittag fuhr in der Einfahrt des Museums ein Panzerwagen der ägyptischen Armee vor. Der Kommandant begrüßte mich freundlich und erkundigte sich nach meinen Wünschen. Ich durfte mit meinem Rucksack in den Radpanzer klettern und zwischen den uniformierten Soldaten Platz nehmen. In gebückter Haltung konnte ich aus den Bullaugen-Fenstern etwas von der Umgebung erspähen, während einer der Soldaten aufrecht aus dem Ausguck lugte und sein Gewehr präsentierte.

Schließlich fuhr der Panzer auf eine Fähre und setze über den Nil. Bald nach der Anlegestelle wurde der Eingang zum Ausgrabungsgelände erreicht. Man rief den Wärter, der offensichtlich noch geschlafen hatte, damit er mir eine Eintrittskarte verkaufe. Sodann fuhr zu meinem Erstaunen der ganze Panzer mit seiner Mannschaft in das Ausgrabungsgelände hinein. Vor einem Felsen wurde angehalten, und alles sprang herab und vertrat sich die Füße. Der Kommandant führte mich den Weg hinauf zu den Grabkammern, wo ein Wärter freundlich die Eisentüren aufschloss und das elektrische Licht einschaltete. Einige Soldaten folgten mir in die Höhle und staunten über die farbige Malerei, die den König und seine Familie unter Sonnenstrahlen zeigte. Fotos zu machen im grünen Neonlicht war fast unmöglich, aber mit dem Wärter, der sich sichtlich freute über die seltene Kundschaft, konnte ich mich unterhalten über diesen Fundort.
Zurück beim Fahrzeug, nach ausgiebiger Erkundung der Höhlen, erlebte ich die nächste Überraschung. Ich hatte mich höflich bedankt für das Geleit und schickte mich an, mein Gepäck herauszuholen. Ich würde nun gern meine Bücher studieren und zu Fuß das Gelände untersuchen und sodann nach Mallawi zurückkehren. Aber der Kommandant schüttelte den Kopf und bedeutete mir, wieder einzusteigen. Es sei zu gefährlich für mich, allein hier herumzustreifen, erläuterte er. Es gäbe keinen einzigen Menschen im Gelände außer uns und den Wärtern, entgegnete ich und beteuerte, keinerlei Angst zu haben. Aber er ließ sich auf keine weiteren Diskussionen ein und fuhr mit mir weiter. Ich durfte noch die Palastruinen sehen und durchstreifen, aber weitere Fotos zu machen war mir die Lust vergangen. Als wir wieder die Anlegestelle erreichten, machte ich einen weiteren Versuch. Es lag dort ein Restaurant mit einer großen Terrasse zum Nil, und ich stieg aus dem Fahrzeug und erklärte, dort bleiben zu wollen, um meine Bücher zu studieren. Aber was sich nun ereignete, entsetzte mich. Wie von einem unsichtbaren Kommando gerufen, erhoben sich mit einem Mal Dutzende entschlossener Männer auf ebendieser Terasse und präsentierten mir ihr Gewehr - darunter fiel mir besonders ein Rothaariger mit wilder Mine auf, der irgendetwas zu uns hergerufen hatte. Ich winkte ab und stieg wieder auf die Planken der Nilfähre, um mit meiner Eskorte zurück zu fahren.

In Mallawi nahmen sie mich mit in die Kaserne, wo ich warten musste. Als die jungen Burschen glaubten, mit mir ihren Spott treiben zu können, da wies ich einen besonders vorwitzigen scharf zurecht, in englischer Sprache, ohne zu wissen, ob er mich verstehen konnte, und hielt ihm eine längere Predigt, wie ich das kaum mit meinen eigenen Schülern könnte, und er war sichtlich beeindruckt und schwieg seither.

Der Kommandant fragte mich nun mit eisiger Höflichkeit, was ich nun vorhätte. Ich sah mich um und erblickte hinter Hausdächern einen Kirchturm. Ich deutete hin und erklärte, diese Kirche besuchen zu wollen. Zu meinem Erstaunen setzte sich nun der kleine Trupp in Bewegung und schritt durch die Gassen auf diese Kirche zu. Und sie, die gewiss Moslems waren, blieben nicht am Tor stehen, sondern trampelten mit ihren Gewehren in die Kirche hinein bis zum Altar, wo ich von einem Mesner als katholischer Priester freundlich begrüßt wurde. Er erklärte mir die Besonderheiten und führte mich zur Kapelle, die jenen Ort markierte, wo die heilige Familie sich vor der Kinderverfolgung des Herodes versteckt habe. (In Kairo habe ich bereits Kirchen gesehen, die denselben Ort für sich reklamieren) Die anschließende Führung durch die Kinderschule und die Nähwerkstatt für Frauen hätte ich mehr genossen ohne die mich überall begleitenden Soldaten. Selbst dem Bischof wurde ich vorgestellt, und zu spät begriff ich, dass ich ihm hätte den Ring küssen sollen. Als ich schließlich, neben dem Mesner am Gehsteig ausschreitend, ihn endlich von Christ zu Christ nach dem Sinn dieser ungebetenen Eskorte fragte, da wechselte er augenblicklich das Thema und sprach im selben Tonfall von der Geschichte der Kirche. Da sah ich meine Chancenlosigkeit ein und willigte ein, die Stadt mit dem Bus nach Kairo zu verlassen. Erleichtert wurde ich mit Militärfahrzeugen zur Busstation gebracht, über deren Erreichbarkeit am Stadtrand ich mir diesmal keine Gedanken machen musste, und beim Kauf des Tickets stand der Kommandant hinter mir und wich erst, als ich am nummerierten Sitzplatz im Bus saß und sich die Türen schlossen. Aus Trotz wäre ich gerne beim nächsten Halt wieder ausgestiegen, aber ich wollte ja tatsächlich die letzten Tage meiner Reise in Kairo verbringen.

Echnaton, der Einzelgänger in der Pharaonengeschichte, ist bis heute suspekt geblieben, soviel habe ich nun gesehen, und wer sich allzusehr für ihn interessiert, wird mit gebührendem Misstrauen behandelt.

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Text zu Text. Ägypten IV

Der Morgen in Luxor am Hotelbalkon/
ein Haus aus der Gründerzeit, würden wir sagen – hier heißt das: britischer Kolonialstil/
das Krähen der Hähne und das Blubbern der Wasserpfeife des Hotelmanagers auf den Stufen des Hoteleingangs unter meinem Balkon/
Zurufe von Passanten, zuweilen ein Moped/
Pferdegetrappel/
Ein leiser arabischer Gesang eines Mannes, vielleicht beim Kochen, vielleicht beim Rasieren/
Vogelzwitschern/
Ich holte mir ein Fahrrad beim Fahrradverleih. Später musste ich öfter zurückkommen, weil die Luft ausging. Ich streifte durch die Stadt, die nach dem gestrigen Fest erst langsam erwachte, pirschte mich an den Karnak-Tempel heran, gewaltigstes Monument der Pharaonenzeit, imstande, weit über unser Fassungsvermögen hinauszugehen.

Rilke staunt so: Ich ... sah, sah, sah – mein Gott, man nimmt sich zusammen, sieht mit allem Glaubenwollen beider eingestellter Augen – und doch beginnts über ihnen, reicht überall über sie fort (nur ein Gott kann ein solches Sehfeld bestellen) – da steht eine Kelchsäule, einzeln, eine überlebende, man umfasst sie nicht, so steht sie einem über das Leben hinaus, nur mit der Nacht zusammen erfasst mans irgendwie, nimmt es im Ganzen mit den Sternen, von ihnen aus wird es für eine Sekunde menschlich, menschliches Erlebnis.

Beschriebener Stein. Die Gravuren mit höfisches Szenen sind Text, sind Beschwörungen der Götter, sind priesterliche und königliche Eloquenz, sind Beredsamkeit der Erdlinge und Wüstenbewohner, die sich selbst immer aufrecht darstellen, schlank und aufgerichtet, mit Willen den Göttern entgegen. Sie schreiben sich in die Götterwelt hinein als Überredung, mit Zaubersprüchen als Ermächtigung, mit Listen ihrer rühmenswerten Heldentaten als Beschwörung der Ma’at beim Gericht, um schließlich, wenn auch mittlerweile deutlich verkleinert und scheu, von Anubis über finstere Grabwände der Götterversammlung entgegengeführt zu werden, um selbst an dieser Versammlung teilnehmen zu dürfen.
Tempel und Gräber, Textur irdischer Selbstermächtigung dem Götterjenseits entgegen/

Am Ende, bei der Rückkehr aus dem Tal der Könige mit dem Fahrrad, haben Kinder mir die Mumienfiguren und den Skarabäus aus Alabaster verkauft, und eilfertig die Figuren in Papier gewickelt, das sie aus ihren Englisch-Schulbüchern gerissen haben. Text zu Text, Wort zu Wort/

http://www.youtube.com/watch?v=SngdqX1qLQU&feature=youtu.be

Sonntag, 30. Dezember 2012

Ägypten ergangen III

In Hurghada bin ich auch geschnorchelt. Ich habe nur Seegurken gefunden oder Unrat, und ständig ist Wasser in meine Taucherbrille gesickert.

Als der Bus nach Luxor, quer durch Wüstenland, bei einem Restaurant Pause machte, habe ich zu viel bestellt. Ich hatte das Hühnchen erst zur Hälfte gegessen, als die Weiterfahrt angezeigt wurde. Ich musste das gute Essen zurücklassen und einsteigen.

Abends querte ich Luxor und suchte ein Quartier. Heute war ein Fest in der Stadt. Man feierte den König Tut Ench Amun, dessen Grab hier gefunden worden war, und tanzte laut singend auf allen Gassen und Plätzen.

Montag, 24. Dezember 2012

Ägypten ergangen II

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Das Katharinenkloster liegt inmitten steiniger dunkler Berge, an dem Platz, wo das Volk Israel sein Lager hatte, während Mose auf den Berg Sinai stieg, um Gott nah zu sein. Gott gab sich ihm zu erkennen, aber die Menschen im Tal – das Geschmeiß, wie Thomas Mann sagt - tanzten um selbstgemachte Gottesbilder. Heute verehrt man im Kloster keine Stierbilder, sondern uralte Christusikonen, die in geheimen Verließen die christliche Bilderzerstörungswut des 8. und 9. Jahrhunderts überstanden hat. Der große Erfolg des Islam, der keinerlei figürliche Bilderkunst kannte, hatte die Theologen und Bischöfe wieder ans Bilderverbot des 2. Gebotes erinnert, das gerade an diesem Ort an Mose ergangen war. Heute aber sind die vielen Beduinen, die rund ums Kloster ihre Führer- und Transportdienste anbieten, allesamt Moslems und haben keinerlei Scheu weder vor den heiligen Ikonen noch vor den sie verehrenden Mönchen und Touristen.

Georgios stammt aus Griechenland, lebt aber schon seit Jahrzehnten im Katharinenkloster. Er hat auch in Wien studiert und nennt das in deutschen Worten eine schöne Zeit in seinem Leben. Er erinnert sich an Kardinal König, der Pro Oriente gründete und mehrmals im Katharinenkloster war. Schließlich zeigt er mir die berühmte Ikone des Pantokrator mit den zwei verschieden blickenden Augen, die du auf dir ruhen spürst, wo immer du dich im Raum befindest. Auch einige der uralten Handschriften des Codex Sinai sehe ich in Glasvitrinen.

Achmed bietet mir Kamele oder Ponys an, sogar ein Moped hätte er für mich organisiert. Aber er gibt zu, dass man auch zu Fuß ins Dorf hinüber gehen kann, in einer halben Stunde. Dort finde ich ein Restaurant, wo ich unter Bäumen im Schatten sitze und wählen kann zwischen Huhn und Fisch. Fisch?, stutze ich und frage nach, woher der Fisch kommt, da wir mitten in der Wüste sitzen. Aus dem Nil, erfahre ich, und bestelle doch lieber das Huhn. (Huhn isst man auch bei uns mit Fingern) Gleichviel Eindruck wie die Speisekarte hat mir die Toilette gemacht. Sie ähnelte einem Plumpsklo in unseren Breiten, nur ohne Muschel und Schacht. Also ein Häuschen mit Brettertüre, und das Klosett ist der Boden. Pass auf, wo du mit den Schlapfen hintrittst im Finstern!

Gegen Mitternacht beginne ich den Aufstieg. In der klaren Nacht kann ich den Weg mühelos erkennen, in den Fels geschlagene Stufen. Halblaut murmle ich den Rosenkranz, mit an die Situation angepassten Gesetzchen. Der Mond geht voraus. Frühmorgens bin ich oben, breite Matte und Schlafsack etwas unterhalb des Plateaus aus, und lege mich für ein paar Stunden nieder. Rufe, Getrappel wecken mich. Ein Schwarm Touristen trifft ein, von Führern dirigiert. Wie ein aufgeregter Bienenschwarm umsurren sie die sich zum Aufgehen anschickende Sonne. Die Apparate klicken. Auch ich hole meine Kamera hervor, konzentriere mich auf das fahle graublaue Zwischenlicht, das die schroffen Steinhänge entlang in die unsichtbaren Gräben sickert.
Kaum steht die Sonne am Himmel, werden die mitgebrachten Brote verdrückt, und alles sammelt sich wieder zum Abstieg. Als wäre es ein Traum gewesen, reibe ich meine Augen und bin wieder allein.

Beim Abstieg begegne ich einem Grüpplein eines jungen Tschechen und einiger Russinnen, die laut schwatzen. Sie sind zusammen mit einem Taxi von Eilat gekommen, eine abenteuerliche und staubige Fahrt. Bei der Grotte des Elias bleibe ich zurück, um allein zu sein. Elias, der einsame Streiter. Der Herausforderer. Der sich störrisch auch vor Gott verschließt. Der Gott zuerst in großen Zeichen erwartet und zuletzt im feinen Flüstern findet. Er wäre auch nicht mit den Scharen gezogen, nicht einmal mit den Russinnen.

Ins Wadi Feiranzu kommen , wo die Israeliten mit den Amalekitern zu kämpfen hatten, war schwer. Der Fahrer waren nur mehr wenige, und die Preisvorstellungen hochgeschraubt. Umso schöner war dann das Ankommen in dem frischen Obstgarten des Schwesternklosters nach den Tagen im Staub. Ich bekam ein kleines Häuschen und aß auf der Veranda. Kleine Geckos tummelten sich auf der Hauswand und im Zimmer, wir waren rasch befreundet. Ich spazierte durch den Garten und bewunderte die klugen Wassergräben, die sich leicht umleiten ließen. Zum Frühstück gab es Obst aus dem Garten – woran ich mich noch lange zurückerinnerte. Denn als ich später auf der Straße stand und nach einer Mitfahrgelegenheit nach Sharm el Sheikh suchte, spürte ich bereits die angeregte Verdauung – und dieser Zustand sollte mich noch den ganzen Weg durch die Wüste begleiten. Als ich in der Kabine eines Fernlasters saß, am Beifahrersitz, während das Söhnchen sich meinetwegen auf die Ablage dahinter zwängen musste, schwitzte ich bereits mehr durch innere als äußere Ursachen, überhaupt, da bei jeder der häufigen Unebenheiten der Straße die Kabine von der schweren Last des Anhängers hochgehoben wurde und eine Beschleunigung erfuhr, die sich sogleich in meinem Inneren fortsetzen wollte. Ich biss die Zähne zusammen und wollte durchhalten, um nicht mitten in der Wüste aussteigen zu müssen, denn hier hätte ich kaum mehr eine Mitfahrgelegenheit gefunden.

Sharm el Sheikh, dessen Namen die Ägypter so stolz aussprechen und dabei tief in der Kehle gurren, wurde ja eigentlich von den Israeli aufgebaut, als sie den Sinai besetzt hatten, und zwar als Militärstützpunkt. Dort befindet sich nun ein Hotelstädtchen für Vornehme und für Schnorchler – das sind jene, die den bunten Fischen in den Korallenriffs nachtauchen. Nach längerem habe ich eine Bambushütte gefunden im Garten eines Hotels, wo ich nun residierte. Ich wusch meine Wäsche, und als ich die paar Kleidungsstücke fertig auf die Leine gehängt hatte, war das erste im Wüstenwind bereits völlig getrocknet. Diesen Tauschschulen wollte ich mich keinesfalls anschließen, aber ich fand einen schmalen freien Strand, wo ich zwischen aberwitzig bunten Fischen umherschwimmen konnte. Allein vom Holzsteg aus sah ich mit freiem Auge Feuerfische torkeln, Seenadeln durchs Wasser schießen, dass man zweimal hinsehen musste, sah einen Rochen mit seinem elektrischen Stachel den Boden entlang gleiten, und sogar Seepferdchen wackelten bizarr und schwerelos durch den freien Raum zwischen Oberfläche und Sandgrund. Später sah ich durch die Glasscheibe in einem Ausflugsboot noch größere Exemplare dieser papageienbunten Tropenfische, die im türkiesblauen klaren Wasser zwischen Korallengärten so geflissentlich schwammen, als wäre das auf der ganzen Welt nicht anders.

Samstag, 22. Dezember 2012

Ägypten ergangen I

Die Mose-Reise begann eigentlich am Busbahnhof von Alexandria, „Alex“, wie die Stadt der Bildung und Weisheit liebevoll genannt wird – und gerade hat ein österreichischer Architekt die neue, zeitgemäße Bibliothek entwerfen dürfen, als einen sozialen Treffpunkt des Geistes. Der Platz für die Busse war weniger hochtrabend eingerichtet, ein paar Betonbuden für die Tickets, und viel Asphalt und Lärm. Ich frage mich durch zum Bus nach Suez und beziehe meinen nummerierten Platz. Ich sehe erstaunt eine Dame kommen, jünger als ich, zwei Kinder an der Hand und etliche Koffer. Ihr Schleier ist weniger Verhüllung als Krone, unter der wache Augen hervorblitzen. Die Kinder sind sauber frisiert und tragen Hemd und Pullover. Kurz streift mich ihr Blick, als sie die Kinder fast lautlos auf die Bank vor mir dirigiert. Kein Mucks, keine Wiederrede, nehmen sie Bücher und Hefte heraus und beginnen zu lesen, noch bevor der Bus abfährt, eine Tagesreise quer durch das Nildelta.

In Suez war Mose bestimmt nicht; trotzdem finde ich schnell ein Hotel und beziehe ein einfaches, günstiges Zimmer in einem Haus für Händler und Kaufleute. Abends streife ich durch Gassen und Hinterhöfe, in denen Handwerker ihre Waren aufstapeln und mich zuweilen freundlich ansprechen. Ich habe eine italienische Kirche gefunden und dem Sakristan eine Flasche Wein abgekauft. Einen Metallbecher fand ich im Geschirrgeschäft.

Ich sitze im Bus nach Fayid. Das ist dort, wo der mittlere Teil des Suez-Kanals aus dem großen Bittersee abfließt. Hier war Sumpfland, bevor der Kanal gebaut wurde. Hier strömen Flut und Ebbe ins Flache, hier könnte es gewesen sein, wo Mose mit seiner Schar das Meer durchquerte, uneinholbar für das schwere ägyptische Militär. Ein junger Bursch setzt sich neben mich. Wir tauschen einige Höflichkeiten. Bald spricht er mich persönlich an. Ich kann ihm nicht genau erklären, was ich mache – aber Lehrer, das akzeptiert er. Und dann rückt er heraus. Der freundliche Schüler oder Student mit Brille fragt mich im ägyptischen Bus höflich nach der Liebe zu einer Frau. Nach dem Verliebtsein. Nach Küssen, Streicheln, Körperkontakt. Fragt, was eine Frau wohl wünscht und erwartet. Kramt einen Block heraus und bittet mich, die weibliche Anatomie darzustellen. Die Genitalien. Mit leiser Stimme, den Block am Oberschenkel. Mit großem Ernst. Und ich antworte, so gut ich kann. Ob es richtig war, was ich ihm gesagt habe? Nun, mein Lehrer in solchen Dingen war auch ein Priester.

In Fayid sitze ich lang am Ufer und sehe den Segelbooten zu, die mit quergestellten Segeln lautlos den Fischschwärmen entgegenkreuzen. Zuweilen quert ein großer Frachter in der Hauptrinne. Es ist ein friedlicher Ort.
Als ich hungrig werde, gehe ich in die Ortschaft hinein und setze mich in eines der kleinen Restaurants. Ich zeige auf einen der aufgelegten frischgefangenen Fische und bekomme ihn wenig später gebraten serviert. Es ist das erste Mal, dass ich Fisch mit den Fingern esse. Ein sinnliches Ereignis.

Ich warte auf den Bus nach Sharm El Sheikh. Ich werde nur ein kleines Stück mitfahren, bis Musa Springs, erkläre ich dem Kartenverkäufer, und sehe dem kleinen Mädchen zu, das zwischen den Wartenden geschäftig umhergeht und sie keck anspricht. Einige andere Kinder, vielleicht Geschwister, kommandiert sie zwischendurch herum, um sich bald wieder einem Reisenden zuzuwenden mit ihrer ganzen Aufmerksamkeit. Als ich dran bin, hat sie ein verständliches Englisch für ihre Erklärungen, wofür sie Geld braucht. Ich habe sie so fasziniert angesehen, dass ich nicht mehr weiß, ob ich ihr etwas gegeben habe oder nicht.
Wahrscheinlich nicht.

Nach ein oder zwei Stunden Busfahrt bremst der Fahrer in deiner Kurve zwischen Sanddünen und deutet mir, dass es hier wäre. Der Ort, wo ich aussteigen will. In der Wüste Sinai. Am späten Nachmittag. Zwischen Sanddünen und einem blauen Himmel. Kein Schild, kein Haus, keine Siedlung. Nur Sand, von kräftiger Sonne beschienen. Musa Spring, beteuert er und öffnet die Tür. Ich hole meinen Rucksack und klappe den Kofferraum zu, und der Bus fährt weiter. Nachdem er um die Kurve verschwand, wurde es still. Richtig still. Ich schnallte den Rucksack um und begann, entlang der Straße zu gehen. Nach der Kurve sah ich ein Schild. Als ich dort war, sah ich eine Militärstation angezeigt. Sonst nichts. Nur Sand.
Beim Eingang stand ein Soldat Wache. Er konnte kein Englisch, aber er führte mich zum Kommandanten, einem schlanken ernsten Mann mit aufrechter Haltung . Der erklärte mir durch einen Dolmetscher, dass Musa Spring noch etwa 20 Kilometer entfernt sei, und dass er mir nicht empfehle, dort zu übernachten, denn dort lagerten Beduinen. Aber er hatte nichts dagegen, dass ich mit meinem Schlafsack unter der Statue übernachten würde, die am Eingang zum Militärcamp stand, unter der Neonlampe, im nächtens frischen Wind.

Anstatt zum angebotenen Frühstück nochmals zurück ins Camp zu gehen, zog ich lieber auf die Straße hinaus, wo ich schon Fahrbetrieb gehört hatte, und zog die Straße weiter entlang. Irgendwann hielt ein Reisebus, und die Gesellschaft nahm mich mit bis Musa Springs, wo ich schnell, mitten im Beduinenlager, ein paar Fotos schoss von der Wasserstelle, deren bitteres Wasser Mose für die durstigen Israeliten mit dem Stab trinkbar gemacht hatte - wovon die Beduinen heute noch profitierten. Das Geschmeiß – so nannte Thomas Mann diese nörgelnde Schar, die von Mose und den zehn Geboten schließlich einigermaßen zivilisiert und zum Volk gemacht worden wären, so lese ich auf kopierten Zetteln in diesen Tagen.
Mit einem anderen Bus fuhr ich mit bis Abu Zenima, wo Mittagspause gemacht wurde in einem dieser Restaurants, die von diesen Bushalten lebten – und wohl auch die Fahrer davon leben ließen. Aber als die Gesellschaft mit dem Essen fertig war und dem Bus zuströmte, blieb ich sitzen und zog meine Bücher hervor. Und am Nachmittag ging ich von der Straße durch den Sand zur Küste hinab, die vom Bus aus immer wieder zu sehen war, zu meinem Erstaunen stets menschenleer. Ich türmte meine Sachen auf das Handtuch und stieg ins Wasser. Nicht allzuweit weggeschwommen, erkannte ich in der Ferne eine Gestalt, die auch von der Siedlung herunterkam. Ich legte mich zum Trocknen auf das Handtuch und sah den Mann in der Entfernung auf- und abgehen. Als ich im Restaurant zurück war und einen Kaffee trank, saß er im knallgelben Pullover am Tisch gegenüber und sah zu mir her, wir beide fast die einzigen Gäste jetzt. Später kam er an meinen Tisch und sprach mich an. Sabri war Tourismuspolizist und sah aus wie 16. Treuherzig bekannte er seine Langeweile und erzählte mir von seiner Polizeiausbildung. Er wäre verlobt, gestand er schließlich, wolle aber jene von den Eltern ausgesuchte Frau nicht wirklich heiraten. Scheu und verloren wirkte der junge Mann, der sich am Rande der Wüste mir anvertraute.
Als der Nachmittag fortschritt, fragte er nach meinem Quartier für die Nacht. Ich würde in die Wüste hineingehen, sagte ich, und dort zwischen den Dünen übernachten. Erschrocken fuhr er auf und wollte mir das ausreden. Viel zu gefährlich, meinte er, und nannte Schlangen und Löwen als Bedrohung. Als ich mich nicht beirren ließ, rang er mir noch die Zusicherung ab, mich morgen früh bei der Polizeistation zu melden.

Bei nachlassender Tageshitze zog ich los. Der Sand in allen Farben. Rostrot und schwarz, schwefelgelb, grau oder weiß türmte er sich in Wellen auf, und unter klarem Himmel schritt ich in die Stille hinein, unbeirrbar wie immer, mit dem Gepäck am Rücken. Auf einer kleinen Anhöhe blieb ich schließlich stehen und rollte meine Bastmatte über eine ebene Stelle. Hier wollte ich eine Messe feiern, ohne Gemeinde, aber mit Wein und Becher, einem Brotfladen, einer kleinen Taschenbibel und dem zweiten Hochgebet auf kopierten Zetteln. Im Schneidersitz auf der Matte, die Gaben vor mir ausgebreitet, so murmelte ich in der menschenleeren Stille und schwenkte meinen Geist dem Adressaten zu, dem Sprecher, dessen Worte über meine Lippen kamen, und mir selbst, der ich mich in diesem Zwischen-Raum einzurichten versuchte, versuchsweise.

Im Sternenlicht entlang der Dünenschatten schlich ich schließlich der tiefsten und finstersten Stelle zu, damit das Gelände mich verberge vor Umherstreifenden, von denen ich manchmal Spuren gesehen zu haben meinte, aber immer unter offenem Himmel – vielleicht so offen wie nur je. Dort rollte ich mich schließlich ein in den Schlafsack und entschwand mit Gedanken und Regungen, die nicht wiederzugeben sind.

Am Morgen erschien ich artig und selbstbewusst in der Polizeistation, wo die Nachtdienst Habenden dem Kommandanten ihre Patronen aus den Pistolen vorzählten und auf den Tisch fallen ließen, und erleichtert und schüchtern lud Sabri mich zum Frühstück. Mein nächstes Ziel war das Katharinenkloster.

Montag, 17. September 2012

Wie es kam, dass ich jetzt mit den Kalkbergen versöhnt bin

Es waren Zwänge, die mich zur Freiheit geführt haben. Die Wettervorhersage von der Kaltfront am nächsten Tag. Der Abbruch der Besteigung im letzten Jahr. Der neue Sicherungsgurt. Und die Schulkonferenz noch am frühen Nachmittag.

Erst um 16 Uhr erreichte ich das Bärental, und ich sah zu meiner Bestürzung, dass gerade über dem Hochstuhl die einzige dunkle Wolke Kärntens höhnisch auf mich herunterdrohte. Lass ich mich einschüchtern?

Ich finde, Wille ist wichtiger als Vernünftigkeit. Ich steige den Weg hinauf zum Einstieg des Klettersteigs, den Gipfel mit der Wolke stets im Blick. Bei Verschlechterung wäre ich auf den fast gleichhohen, aber bequem erreichbaren Gaisberg ausgewichen. Die Wolke sieht mich grimmig abwartend an und bewegt sich nicht.

Jederzeit zur Umkehr bereit, notfalls auch nass, steige ich schließlich – viele sind mit bergab entgegengekommen mit verwundertem Blick – still und allein im Hochtal über den Geröllhang auf den Felsen zu. Ich nehme zum ersten Mal die neuen Gurten aus dem Rucksack und lasse ihn unter einem Stein zurück. Die ersten senkrechten Anstiege über die Eisentritte: das Ein- und Ausklicken scheint Zeit zu kosten, obwohl ich meist nur einen Karabiner verwende. Mit Respekt blicke ich den Felsen hinauf und den größer werdenden Abgrund hinunter. Ich mache eine Rechnung, zu welchem Zeitpunkt ich umkehren müsste, um bei Tageslicht zurückzukommen.

Ich komme weiter als letztes Jahr. Statt der Wolke umfließt mich warmer Spätsommersonnenschein. Ich sehe den Gaisberg gegenüber bereits tiefer liegen, zum Gipfel habe ich jedoch keine Sicht. Ich gehe dennoch weiter. Zuletzt gibt es einige Schleifen über Schutt und Sand, was ich nicht mag und was ich den Kalkbergen vorhalte.

Am Gipfel, der bereits in Slowenien liegt, treffe ich ein junges Pärchen und sehe, dass sie nicht mehr absteigen werden, sondern in der nahen Hütte bleiben. Ich klopfe aufs Kreuz und trete sofort den Rückzug an, ungeschickt in Sand und Geröll. Es dämmert bald. Ich gehe über die kleinen Grate, Abgründe auf beiden Seiten, schneller und aufrechter als zuvor. Ich achte darauf, mich nicht zu versteigen und keine Zeit zu verlieren. Ich freue mich auf die Seile im unteren Bereich und nehme die ungesicherten Stellen kaltschnäuziger. Aber selbst in dieser Situation ist es ein Genuss, sich auf den glatten, warmen, rissigen Stein zu stützen und mit den Füssen Tritte und Vorsprünge zu suchen. Man kann zu diesem Weg Vertrauen haben. Ist nicht erst das ein Abgrund, wenn der Boden nicht mehr zu sehen ist?

Als die Drahtseile kommen, atme ich auf. Ich kann sie gerade noch sehen und klinke mich ein. Ich merke, dass es wieder um die knappe Zeit geht. Immer wieder passiert mir das. Jetzt, wo ich mit Sicherung gehe, ist die Zeit das Abenteuer. Und es stellt sich heraus, dass selbst im Sternenlicht - der Mond kommt erst später – die Vorsprünge noch zu sehen sind (oder zu ahnen). Die weißrote Markierung, die im Nachtlicht dann und wann neben mir auftaucht, ist ein Friedenszeichen. Schalom.

Ich höre Laute und Geräusche, denke an Menschen drüben im Wald – aber es sind immer Tiere, Kauze, brüllende Rinder. Bellende Rehböcke. Weiter oben hat es geklungen wie eine Windharfe. Ich denke daran, dass solche Musik der Geschöpfe auch in der Kirche klingen sollte.

Ich spüre es, wenn ich mich dem Geröllhang nähere, es beruhigt, obwohl der steilste, fast überhängende Leiteranstieg gerade dort ist. Dass es trotzdem auch im Finstern möglich ist, den Stein entlang hinunterzugleiten, liegt daran, dass der weißgraue Kalk sehr hell ist in der Nacht, und selbst die fernen Sterne darauf Schatten werfen.

Ich springe von der letzten Sprosse, hole meinen Rucksack und taste mich, ohne die Gurten abzulegen, über das Geröll hinüber zum Wald, irre manchmal, sehe doch wieder eine Markierung. Bald bin ich auf dem Waldweg und schreite mit geraden Schritten hinunter. In der Stadt machen die Laternen die Sterne unsichtbar – hier leuchten die Sterne und von unten der Kiesweg. Die dunklen Berge, die jetzt immer höher werden, umstehen mich wie Tanten, aber sie lachen nicht über mich,kein Ton, höchstens ein stumm erhobener Zeigefinger.

Manchmal, wenn die Baumwipfel zusammenstehen und ich durch Tunnel steige, dann zerfällt das Bild des Kieswegs in zwei getrennte Bilder für beide Augen, dann geht man, Lichtpunkte oben, Lichtpunkte unten, durch den Weltraum ohne Tiefe und Entfernung.

Einmal sehe ich vier Flugzeuge gleichzeitig auf Kreuzbahnen, als würden sie zusammenstoßen, und erst jetzt merke ich ihr Geräusch, von den Felswänden zurückgeworden. Ich habe Sorge, den Parkplatz im Wald zu versäumen, aber knapp vor mir taucht aus der Finsternis der Schranken auf, und dort, unter Bäumen, steht nunmehr als einziges mein silbergraues Auto

Samstag, 8. September 2012

Einblicke im Balkandorf

Ein Balkandorf.
Eine offene Tuere.
Ein Blick.
Ein schlafendes Maedchen.
Blondes Haar im Licht,
eine schmale Nase nach oben,
eine Deĉke im Schatten.
Oder eine Frau.
Mit schwarzen Augen.
Aber wie kann man die Augen sehen, wenn sie schlaeft?
Schwarze Augen, die mich neugierig ansehen.
Die Frau mustert mich.
Ich bin ein Fremder, ein Eindringling.
Was ist von mir zu halten?
Bin ich laestig, als Gesicht von der Strasse her?
Sie beginnt, etwas zurechtzuruecken im Halbdunkel des Hauses im Balkandorf.
Ich haette jetzt weitergehen koennen.
Ich wollte noch einkaufen, Wasser, Obst.
Aber ich zoegerte noch.
Ein Hund sieht mich an, iault nicht, schweigt.
Die Ziege mit undurchdringlichem Blick.
Die Huehner picken geschaeftig am Boden herum.
Keine Stille im nachmittaeglichen Balkandorf.
Getrappel. Motorradgeknatter. Ein, zwei Mal eine Kraehe.
Die Maisfelder.
Die stummen Kamine.
Die stummen Pelargonien am Holzzaun mit den zugespitzten Brettern.
Haeuser ohne Stockwerk, ohne Balkon, mit Holzschindeln.
Und dort drin die schwarzen Augen
Sie hat etwas ins andere Zimmer gerufen.
Ich rieche zerfliessende Butter.
Huehnergegacker, Hundegeklaeff, aber nicht ein Traktor, sondern breite Lastwagen rumpeln die von Rissen zersägte Strasse hinauf und hinunter.
Man muss sich an den Gartenzaun druecken.
Misstrauische Blicke die Dorfstrasse entlang.
Als ich das Dorfgasthaus betrete, scheint fuer einen Moment jedes Gespraech zu verstummen.
Fragende Blicke.
Ein Spinnennetz, in das du geraetst, wo jedes Ende mit allen anderen zusammenhaengt und der Eindringling daran zieht.
Ich suche wie immer einen Platz am Rande, im Schatten, und lausche den wieder aufkommenden Stimmen.
Zurufe von Tisch zu Tisch.
Kein einziger froehlicher Blick, kein entspanntes Laecheln.
Das ganze Misstrauen der Provinz in diesem Gastgarten.
Ohne Umstaende wird serviert, wird aufgetragen und abgeraeumt.
Vielleicht ist diesen knochigen oder klobigen Bewohnern ein Leiden gemeinsam, verbleites Trinkwasser, vielleicht tragen sie etwas Schweres, das ihnen die Laune verdirbt, denn sie schnauzen dem Kellner etwas zu und bekommen etwas auf den Tisch gestellt, ohne dass sich auch nur ein Mundwinkel verzieht.
Aber Emiliya.
Sie hat gelaechelt, als sie vorbeiging.
Als haette sie einen Reim darauf.
Als kenne sie ein Geheimnis.

Spaeter ist vor ihrem Haus scharfer Zwiebelgeruch.
Die Huehner, der Hund, die Ziegen.
Lachend erzaehlt Emiliya vom Ponyzirkus.
Eine halbe Stunde vom Dorf, diese Woche.
Wir gehen hinueber.
Zigeuner sagt sie, nicht Roma.
Sagt es mit Abscheu.
Bei euch machen sie Musik, bei uns stehlen sie, sagt sie.
Die Kinder stellen sich an, um auf dem Pony reiten zu koennen.
Die Burschen reiten auf einem Motorrad durchs schlammige Gelaende.
Geschrei, Motorengeheul, dann Getrappel.
Rauch vom Ferkelgrillen.
Das ganze Dorf kommt hier zusammen, man isst und trinkt, und der Ernst hat Pause.
Hat Emiliya das gemacht oder die Zigeuner?
Die schlafende Griechin

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Mittwoch, 29. August 2012

Balkangipfel und Himmelserbarmen

In einer Balkanprovinz bin ich gelandet, ein Quartier zwischen Bergen mit Namen wie Stav oder Latşur, gruen bewaldet und ein klarer See dazwischen. Ohne Karte, allein auf Geheiss des Vermieters, trete ich an in den Nachmittagsstunden, nachdem die Zeit davor den Damen des Hauses oder den Buechern gehoert haben, und der sengenden Sonne.
In Hoehen, die bei uns hochalpin waeren, in die kein Wald mehr kommt, nur scharfrandiges Gelbgras, erblicke ich erstmals Wolken - und steige weiter, bar jeder Ausruestung, ausser dem, was ich am Leib trage. Nass bin ich ja schon geworden, das halte ich aus.
Blaugrau haengt Wasser am Himmel, wie unbeweglich, doch jedesmal, wenn ich wieder aufblicke vom Weg, haben die Wolken Form und Position veraendert, ohne dass ich die Windrichtung feststellen koennte. Ein Stellungsspiel, sie ziehn herum um mich und machen sich lustig.
Ich sehe das Kreuz.
Ich kreuze die Wege der Rinder, die arglos seitlich warten, bis ich sie umstaendlich umschritten habe, und spielen und laeuten Musik wie in Sizilien die Kirchenglocken.
Eine Otter gruesst mich von unten, zwei Handspangen lang, scheu zusammengeduckt, und als ich den Weg freigebe, eilt sie davon, bis sie aus den sandigen Trittgruben endlich ins hohe Gras entkommen kann. Eine Brahmanin muss sie im frueheren Leben gewesen sein, so grazil schluepft sie durch Halme und zieht ihr Zickzackband hinter sich her.
Mich begruessen, hinter dem Huegel, die Schafe mit freundlichem Baeaeh, ich gruesse freundlich zurueck und blicke nach oben. Ich sehe, nahe dem Kreuz, eine einzelne, dreieckig zerfranste finstere Wolke in tiefem Anflug auf mich. Ich rede sie an, mache Vorschlaege, rate einzulenken, im Blick auf das nahe Kreuz. Die letzten Meter hechte ich hinauf und klopfe an den Pfosten, blicke ins finster verhangene naechste Tal und schau nochmals nach oben: da ist die Wolke verschwunden, ich schwoers. Misstrauisch stehn dort die andern im Kreis, aber wenn ein Tropfen mich trifft, so von meiner eigenen Stirn.

Im Wald, beim Abstieg, ist es dunkel geworden, aber wenn ich heraustrete, ist der Tag wieder da. Ich zaehle die Kehren, die ich heraufgestiegen, jetzt wieder zurueck, und bin beim letzten Licht, das der tiefe Himmel dem Tag noch gelassen, beim Seeufer unten. Einige Menschen, auf morschen Baenken, beim Abendgespraech. Ein erleuchtetes Fenster. Ich steige die Holzplanken hinaus auf den See und tauche ins klare Wasser hinein. Von der glatten Oberflaeche steigt Dunst, der morgen Früh Nebel sein wird, und ich schwimme mit kraeftigen Stoessen lautlos und sehe am Grund noch den Schimmer von Sand und tiefgruenen Algenarmen. Als ich die Runden gezogen und wieder ueber den Steg an das Ufer trete (dessen nassfaules Holz ich im finsteren See gerochen habe), haben die leise Redenden das Gespraech schon beendet und brechen heimwaerts auf, und ich, mit fluechtig getrocknetem Haar, hab die Schuhe in der Hand und wende mich um

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Dienstag, 28. August 2012

Die zwei Schwestern

Ich trete die Stufen hinauf zum Tor des Hauses in der Galata Kulesi Sokan, wohın ıch schon einige Male heimgekehrt bin, und drücke an der Sprechanlage die Knöpfe, von denen ich hoffe, dass sie den Freund rufen im 2. Stock, den ich zuletzt alt und gebrechlich gesehen habe, und ans Bett gefesselt.
Ich laeute mehrmals und blicke Gasse hinauf bin zum Turm, der über Galata wacht, das immer noch steht seit Jahrhunderten, ein Teil der Riesenstadt heute. Dann springt die Tür auf mit einem Schnarren, und erwartungsvoll steige ich die Treppe hinauf. Aber wer steht dort, im ersten Stockwerk, feixend, mit aufgerissenen Augen? Hannes, mein Schwager aus Wien! Und wer reisst, nachdem er mich, mir mit dem Finger am Mund Schweigen gebietend, ın dıe Wohnung hat, dort drinnen die Augen nun auf? Renate, meine Schwester, getroffen in der Millionenstadt Istanbul, in der ich für eineinhalb Tage bin, wie einen bestimmten Fisch im Meer beim Sprung ins Wasser, der ich zuhause nichteinmal die Notizen finde vom letzten Trauungsgespraech, ich finde meine Schwester aus Wien in der östlichsten und grössten Stadt Europas, weil sie auch gerade da ist.

Den Freund, den treff ich nicht mehr, im Juni sei er gestorben an Lungenversagen, erzaehlt seie Schwester mir oben im 2. Stock, Ferdinand, der am Herzen litt und bei der Sommerhitze einen Puls hatte von 50:90 (die Aerzte haetten gestaunt, dass man damit überhaupt leben kann), und ich sehe die Familienbilder und erfahre von seinem Sohn in Amerıka, der nicht kommt nach Istanbul, zu beschaeftigt, erklaert mir die Schwester. Ich verspreche, zu beten für sie und den Bruder.

Am Abend steige ich nochmals hınauf mit Sandalen nach Galata, da stürzt mir das Wasser entgegen, denn Wolken sind aufgezogen nach Wochen der Hıtze, und das Gewıtter laeutet krachend eine Wende ein für das fünfzigste Jahr, denn zwei Geschwister gehn heute zum Essen aus, mit Schwager und Söhnen und der gemeinsamen Freundin und Studienkollegin, und wenn auch so viel geredet wurde an diesem Abend, und gut gegessen, so war doch über allem noch immer ein fassungsloses Staunen und vielleicht eine Skepsıs, als wir am Kai den Schiffen zusahn und diskutierten, ob die türkische Behandlung der katholischen, armenischen und syrischen Kirchen nun Christenverfolgung sei oder nicht, und es wurde auch heute wieder nicht alles gesagt


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