Wie es kam, dass ich jetzt mit den Kalkbergen versöhnt bin

Es waren Zwänge, die mich zur Freiheit geführt haben. Die Wettervorhersage von der Kaltfront am nächsten Tag. Der Abbruch der Besteigung im letzten Jahr. Der neue Sicherungsgurt. Und die Schulkonferenz noch am frühen Nachmittag.

Erst um 16 Uhr erreichte ich das Bärental, und ich sah zu meiner Bestürzung, dass gerade über dem Hochstuhl die einzige dunkle Wolke Kärntens höhnisch auf mich herunterdrohte. Lass ich mich einschüchtern?

Ich finde, Wille ist wichtiger als Vernünftigkeit. Ich steige den Weg hinauf zum Einstieg des Klettersteigs, den Gipfel mit der Wolke stets im Blick. Bei Verschlechterung wäre ich auf den fast gleichhohen, aber bequem erreichbaren Gaisberg ausgewichen. Die Wolke sieht mich grimmig abwartend an und bewegt sich nicht.

Jederzeit zur Umkehr bereit, notfalls auch nass, steige ich schließlich – viele sind mit bergab entgegengekommen mit verwundertem Blick – still und allein im Hochtal über den Geröllhang auf den Felsen zu. Ich nehme zum ersten Mal die neuen Gurten aus dem Rucksack und lasse ihn unter einem Stein zurück. Die ersten senkrechten Anstiege über die Eisentritte: das Ein- und Ausklicken scheint Zeit zu kosten, obwohl ich meist nur einen Karabiner verwende. Mit Respekt blicke ich den Felsen hinauf und den größer werdenden Abgrund hinunter. Ich mache eine Rechnung, zu welchem Zeitpunkt ich umkehren müsste, um bei Tageslicht zurückzukommen.

Ich komme weiter als letztes Jahr. Statt der Wolke umfließt mich warmer Spätsommersonnenschein. Ich sehe den Gaisberg gegenüber bereits tiefer liegen, zum Gipfel habe ich jedoch keine Sicht. Ich gehe dennoch weiter. Zuletzt gibt es einige Schleifen über Schutt und Sand, was ich nicht mag und was ich den Kalkbergen vorhalte.

Am Gipfel, der bereits in Slowenien liegt, treffe ich ein junges Pärchen und sehe, dass sie nicht mehr absteigen werden, sondern in der nahen Hütte bleiben. Ich klopfe aufs Kreuz und trete sofort den Rückzug an, ungeschickt in Sand und Geröll. Es dämmert bald. Ich gehe über die kleinen Grate, Abgründe auf beiden Seiten, schneller und aufrechter als zuvor. Ich achte darauf, mich nicht zu versteigen und keine Zeit zu verlieren. Ich freue mich auf die Seile im unteren Bereich und nehme die ungesicherten Stellen kaltschnäuziger. Aber selbst in dieser Situation ist es ein Genuss, sich auf den glatten, warmen, rissigen Stein zu stützen und mit den Füssen Tritte und Vorsprünge zu suchen. Man kann zu diesem Weg Vertrauen haben. Ist nicht erst das ein Abgrund, wenn der Boden nicht mehr zu sehen ist?

Als die Drahtseile kommen, atme ich auf. Ich kann sie gerade noch sehen und klinke mich ein. Ich merke, dass es wieder um die knappe Zeit geht. Immer wieder passiert mir das. Jetzt, wo ich mit Sicherung gehe, ist die Zeit das Abenteuer. Und es stellt sich heraus, dass selbst im Sternenlicht - der Mond kommt erst später – die Vorsprünge noch zu sehen sind (oder zu ahnen). Die weißrote Markierung, die im Nachtlicht dann und wann neben mir auftaucht, ist ein Friedenszeichen. Schalom.

Ich höre Laute und Geräusche, denke an Menschen drüben im Wald – aber es sind immer Tiere, Kauze, brüllende Rinder. Bellende Rehböcke. Weiter oben hat es geklungen wie eine Windharfe. Ich denke daran, dass solche Musik der Geschöpfe auch in der Kirche klingen sollte.

Ich spüre es, wenn ich mich dem Geröllhang nähere, es beruhigt, obwohl der steilste, fast überhängende Leiteranstieg gerade dort ist. Dass es trotzdem auch im Finstern möglich ist, den Stein entlang hinunterzugleiten, liegt daran, dass der weißgraue Kalk sehr hell ist in der Nacht, und selbst die fernen Sterne darauf Schatten werfen.

Ich springe von der letzten Sprosse, hole meinen Rucksack und taste mich, ohne die Gurten abzulegen, über das Geröll hinüber zum Wald, irre manchmal, sehe doch wieder eine Markierung. Bald bin ich auf dem Waldweg und schreite mit geraden Schritten hinunter. In der Stadt machen die Laternen die Sterne unsichtbar – hier leuchten die Sterne und von unten der Kiesweg. Die dunklen Berge, die jetzt immer höher werden, umstehen mich wie Tanten, aber sie lachen nicht über mich,kein Ton, höchstens ein stumm erhobener Zeigefinger.

Manchmal, wenn die Baumwipfel zusammenstehen und ich durch Tunnel steige, dann zerfällt das Bild des Kieswegs in zwei getrennte Bilder für beide Augen, dann geht man, Lichtpunkte oben, Lichtpunkte unten, durch den Weltraum ohne Tiefe und Entfernung.

Einmal sehe ich vier Flugzeuge gleichzeitig auf Kreuzbahnen, als würden sie zusammenstoßen, und erst jetzt merke ich ihr Geräusch, von den Felswänden zurückgeworden. Ich habe Sorge, den Parkplatz im Wald zu versäumen, aber knapp vor mir taucht aus der Finsternis der Schranken auf, und dort, unter Bäumen, steht nunmehr als einziges mein silbergraues Auto
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