Ägypten ergangen I

Die Mose-Reise begann eigentlich am Busbahnhof von Alexandria, „Alex“, wie die Stadt der Bildung und Weisheit liebevoll genannt wird – und gerade hat ein österreichischer Architekt die neue, zeitgemäße Bibliothek entwerfen dürfen, als einen sozialen Treffpunkt des Geistes. Der Platz für die Busse war weniger hochtrabend eingerichtet, ein paar Betonbuden für die Tickets, und viel Asphalt und Lärm. Ich frage mich durch zum Bus nach Suez und beziehe meinen nummerierten Platz. Ich sehe erstaunt eine Dame kommen, jünger als ich, zwei Kinder an der Hand und etliche Koffer. Ihr Schleier ist weniger Verhüllung als Krone, unter der wache Augen hervorblitzen. Die Kinder sind sauber frisiert und tragen Hemd und Pullover. Kurz streift mich ihr Blick, als sie die Kinder fast lautlos auf die Bank vor mir dirigiert. Kein Mucks, keine Wiederrede, nehmen sie Bücher und Hefte heraus und beginnen zu lesen, noch bevor der Bus abfährt, eine Tagesreise quer durch das Nildelta.

In Suez war Mose bestimmt nicht; trotzdem finde ich schnell ein Hotel und beziehe ein einfaches, günstiges Zimmer in einem Haus für Händler und Kaufleute. Abends streife ich durch Gassen und Hinterhöfe, in denen Handwerker ihre Waren aufstapeln und mich zuweilen freundlich ansprechen. Ich habe eine italienische Kirche gefunden und dem Sakristan eine Flasche Wein abgekauft. Einen Metallbecher fand ich im Geschirrgeschäft.

Ich sitze im Bus nach Fayid. Das ist dort, wo der mittlere Teil des Suez-Kanals aus dem großen Bittersee abfließt. Hier war Sumpfland, bevor der Kanal gebaut wurde. Hier strömen Flut und Ebbe ins Flache, hier könnte es gewesen sein, wo Mose mit seiner Schar das Meer durchquerte, uneinholbar für das schwere ägyptische Militär. Ein junger Bursch setzt sich neben mich. Wir tauschen einige Höflichkeiten. Bald spricht er mich persönlich an. Ich kann ihm nicht genau erklären, was ich mache – aber Lehrer, das akzeptiert er. Und dann rückt er heraus. Der freundliche Schüler oder Student mit Brille fragt mich im ägyptischen Bus höflich nach der Liebe zu einer Frau. Nach dem Verliebtsein. Nach Küssen, Streicheln, Körperkontakt. Fragt, was eine Frau wohl wünscht und erwartet. Kramt einen Block heraus und bittet mich, die weibliche Anatomie darzustellen. Die Genitalien. Mit leiser Stimme, den Block am Oberschenkel. Mit großem Ernst. Und ich antworte, so gut ich kann. Ob es richtig war, was ich ihm gesagt habe? Nun, mein Lehrer in solchen Dingen war auch ein Priester.

In Fayid sitze ich lang am Ufer und sehe den Segelbooten zu, die mit quergestellten Segeln lautlos den Fischschwärmen entgegenkreuzen. Zuweilen quert ein großer Frachter in der Hauptrinne. Es ist ein friedlicher Ort.
Als ich hungrig werde, gehe ich in die Ortschaft hinein und setze mich in eines der kleinen Restaurants. Ich zeige auf einen der aufgelegten frischgefangenen Fische und bekomme ihn wenig später gebraten serviert. Es ist das erste Mal, dass ich Fisch mit den Fingern esse. Ein sinnliches Ereignis.

Ich warte auf den Bus nach Sharm El Sheikh. Ich werde nur ein kleines Stück mitfahren, bis Musa Springs, erkläre ich dem Kartenverkäufer, und sehe dem kleinen Mädchen zu, das zwischen den Wartenden geschäftig umhergeht und sie keck anspricht. Einige andere Kinder, vielleicht Geschwister, kommandiert sie zwischendurch herum, um sich bald wieder einem Reisenden zuzuwenden mit ihrer ganzen Aufmerksamkeit. Als ich dran bin, hat sie ein verständliches Englisch für ihre Erklärungen, wofür sie Geld braucht. Ich habe sie so fasziniert angesehen, dass ich nicht mehr weiß, ob ich ihr etwas gegeben habe oder nicht.
Wahrscheinlich nicht.

Nach ein oder zwei Stunden Busfahrt bremst der Fahrer in deiner Kurve zwischen Sanddünen und deutet mir, dass es hier wäre. Der Ort, wo ich aussteigen will. In der Wüste Sinai. Am späten Nachmittag. Zwischen Sanddünen und einem blauen Himmel. Kein Schild, kein Haus, keine Siedlung. Nur Sand, von kräftiger Sonne beschienen. Musa Spring, beteuert er und öffnet die Tür. Ich hole meinen Rucksack und klappe den Kofferraum zu, und der Bus fährt weiter. Nachdem er um die Kurve verschwand, wurde es still. Richtig still. Ich schnallte den Rucksack um und begann, entlang der Straße zu gehen. Nach der Kurve sah ich ein Schild. Als ich dort war, sah ich eine Militärstation angezeigt. Sonst nichts. Nur Sand.
Beim Eingang stand ein Soldat Wache. Er konnte kein Englisch, aber er führte mich zum Kommandanten, einem schlanken ernsten Mann mit aufrechter Haltung . Der erklärte mir durch einen Dolmetscher, dass Musa Spring noch etwa 20 Kilometer entfernt sei, und dass er mir nicht empfehle, dort zu übernachten, denn dort lagerten Beduinen. Aber er hatte nichts dagegen, dass ich mit meinem Schlafsack unter der Statue übernachten würde, die am Eingang zum Militärcamp stand, unter der Neonlampe, im nächtens frischen Wind.

Anstatt zum angebotenen Frühstück nochmals zurück ins Camp zu gehen, zog ich lieber auf die Straße hinaus, wo ich schon Fahrbetrieb gehört hatte, und zog die Straße weiter entlang. Irgendwann hielt ein Reisebus, und die Gesellschaft nahm mich mit bis Musa Springs, wo ich schnell, mitten im Beduinenlager, ein paar Fotos schoss von der Wasserstelle, deren bitteres Wasser Mose für die durstigen Israeliten mit dem Stab trinkbar gemacht hatte - wovon die Beduinen heute noch profitierten. Das Geschmeiß – so nannte Thomas Mann diese nörgelnde Schar, die von Mose und den zehn Geboten schließlich einigermaßen zivilisiert und zum Volk gemacht worden wären, so lese ich auf kopierten Zetteln in diesen Tagen.
Mit einem anderen Bus fuhr ich mit bis Abu Zenima, wo Mittagspause gemacht wurde in einem dieser Restaurants, die von diesen Bushalten lebten – und wohl auch die Fahrer davon leben ließen. Aber als die Gesellschaft mit dem Essen fertig war und dem Bus zuströmte, blieb ich sitzen und zog meine Bücher hervor. Und am Nachmittag ging ich von der Straße durch den Sand zur Küste hinab, die vom Bus aus immer wieder zu sehen war, zu meinem Erstaunen stets menschenleer. Ich türmte meine Sachen auf das Handtuch und stieg ins Wasser. Nicht allzuweit weggeschwommen, erkannte ich in der Ferne eine Gestalt, die auch von der Siedlung herunterkam. Ich legte mich zum Trocknen auf das Handtuch und sah den Mann in der Entfernung auf- und abgehen. Als ich im Restaurant zurück war und einen Kaffee trank, saß er im knallgelben Pullover am Tisch gegenüber und sah zu mir her, wir beide fast die einzigen Gäste jetzt. Später kam er an meinen Tisch und sprach mich an. Sabri war Tourismuspolizist und sah aus wie 16. Treuherzig bekannte er seine Langeweile und erzählte mir von seiner Polizeiausbildung. Er wäre verlobt, gestand er schließlich, wolle aber jene von den Eltern ausgesuchte Frau nicht wirklich heiraten. Scheu und verloren wirkte der junge Mann, der sich am Rande der Wüste mir anvertraute.
Als der Nachmittag fortschritt, fragte er nach meinem Quartier für die Nacht. Ich würde in die Wüste hineingehen, sagte ich, und dort zwischen den Dünen übernachten. Erschrocken fuhr er auf und wollte mir das ausreden. Viel zu gefährlich, meinte er, und nannte Schlangen und Löwen als Bedrohung. Als ich mich nicht beirren ließ, rang er mir noch die Zusicherung ab, mich morgen früh bei der Polizeistation zu melden.

Bei nachlassender Tageshitze zog ich los. Der Sand in allen Farben. Rostrot und schwarz, schwefelgelb, grau oder weiß türmte er sich in Wellen auf, und unter klarem Himmel schritt ich in die Stille hinein, unbeirrbar wie immer, mit dem Gepäck am Rücken. Auf einer kleinen Anhöhe blieb ich schließlich stehen und rollte meine Bastmatte über eine ebene Stelle. Hier wollte ich eine Messe feiern, ohne Gemeinde, aber mit Wein und Becher, einem Brotfladen, einer kleinen Taschenbibel und dem zweiten Hochgebet auf kopierten Zetteln. Im Schneidersitz auf der Matte, die Gaben vor mir ausgebreitet, so murmelte ich in der menschenleeren Stille und schwenkte meinen Geist dem Adressaten zu, dem Sprecher, dessen Worte über meine Lippen kamen, und mir selbst, der ich mich in diesem Zwischen-Raum einzurichten versuchte, versuchsweise.

Im Sternenlicht entlang der Dünenschatten schlich ich schließlich der tiefsten und finstersten Stelle zu, damit das Gelände mich verberge vor Umherstreifenden, von denen ich manchmal Spuren gesehen zu haben meinte, aber immer unter offenem Himmel – vielleicht so offen wie nur je. Dort rollte ich mich schließlich ein in den Schlafsack und entschwand mit Gedanken und Regungen, die nicht wiederzugeben sind.

Am Morgen erschien ich artig und selbstbewusst in der Polizeistation, wo die Nachtdienst Habenden dem Kommandanten ihre Patronen aus den Pistolen vorzählten und auf den Tisch fallen ließen, und erleichtert und schüchtern lud Sabri mich zum Frühstück. Mein nächstes Ziel war das Katharinenkloster.
logo

grenzgänger

Aktuelle Beiträge

Text zu Text. Ägypten...
Der Morgen in Luxor am Hotelbalkon/ ein Haus aus der...
grenzwärtig - 24. Aug, 11:57
Tell Amarna
Die Königsresidenz des Ungeliebten. Das Beste an...
grenzwärtig - 26. Jan, 11:34
Ägypten ergangen III
In Hurghada bin ich auch geschnorchelt. Ich habe nur...
grenzwärtig - 30. Dez, 17:37
Ägypten ergangen II
Das Katharinenkloster liegt inmitten steiniger dunkler...
grenzwärtig - 24. Dez, 17:46
Ägypten ergangen I
Die Mose-Reise begann eigentlich am Busbahnhof von...
grenzwärtig - 22. Dez, 23:41

Meine Kommentare

Neuen Weblog?
Ich wollte dringend einen neuen Weblog anlegen für...
info - 24. Jun, 13:56
Achtung Geschichte
Ich moechte den werten Leser>die Leserin auf einen...
grenzwaertig1 - 31. Jul, 23:42
Hallo Schlagloch!
Der naechste Orientabend waere sicher eine gute Gelegenheit...
grenzwaertig1 - 31. Jul, 16:28
Der entgrenzte Mensch
KOMMENTAR ZUR JÜNGSTEN BIOETHIKKOMMISSIONS-ENTSCH EIDUNG...
grenzwaertig - 30. Sep, 18:59
Sehr herbstlich
und philosophisch bist du geworden! Sinnierend wie...
Gedankenbilderbuche - 30. Sep, 18:49

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Status

Online seit 4315 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 24. Aug, 11:57

Credits

Besucher


beobachtungen
exodus und einkehr
geschichte
Nach der Grenze tasten
reiseroute
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren