Samstag, 18. August 2012

Ich habe in den Vulkan gespuckt

Hat jemand erwartet, dass ich den Aetna nur von unten bestaune?
Die schwarzbraune Lava im Graben um die Zwingburg Friedrichs II. im Vorbeigehen betrachte,
und mich an die dunklen Fassaden Catanias gewoehne, die aus Vulkanstein gemacht sind?
Oder haette ich mich einer der so abenteuerlich beschriebenen Vulkantouren anschliessen sollen, die auf bunten Prospekten in den Hotelrezeptionen angepriesen werden?

Nun, ich fuhr mit dem Linienbus bis zur Endstation, zugleich Souveniercamp und Talstation der Seilbahn, immerhin bereits auf 2000 Hohenmetern. Und dann startete ich, mit Rucksack, ein wenig Proviant, 3 L Wasser, leichten Wanderschuhen und grosser Neugier. Entlang des breiten Lavastroms des letzten Ausbruchs. Einen Sessellift und ein paar Haeuser hatte der verschlungen.
Vulkansteigen ist wie Strandlaufen.
Jeder Schritt versinkt weich knirschend.
Zwei Schritte hinauf, einen zurueckrutschen.
Die haerteren Steine wie Kohle.
Zuerst der steilste Anstieg, der Blick nur entlang der Seilbahntrasse.
War dort bereits der Lavasee?
War ich weit genug vom Seilbahnsummen weg, hoerte ich Knallen.
Zuerst sah ich einige Bergsteiger vor mir, zwei Paare, noch einer.
Dann waren sie verschwunden.
Sie werden doch nicht vom Vulkan verschlungen worden sein, so weit noch vom Gipfel?

Als ich mich ueber graue, schwarze, roetlich schimmernde Haenge hinaufgekaempft hatte bis zur Bergstation, zuweilen gruene Kraeuterpolster auf der Seite, da stand ich eigentlich erst am Beginn, das sah ich jetzt.
In den Tross der Kraterstuermer mich einreihend, stieg ich auf der Kiesstrasse flott weiter, auf der Gelaendebusse die Sehlustigen hinaufhievten, moeglichst das Geplapper und Gesumse hinter mir lassend, auf den Saumwegen ueber Vulkangeroell schon viel langsamer.
Am markierten Endpunkt menschlicher Anstrengungen/
waren es noch 300 Meter bis zum Kraterrand.
Hoehenmeter.
In blauem Dunst.
Im Dunst versteckt.
Weisse Woelkchen von sich gebend,
Friedenszeichen oder Taeuschungen.

Ob ich den Vulkangoettern begegnet bin?
So nah an den Kraeften der Erde?
Nun, ich habe keine Praesenz bemerkt, auch nicht, als ich allein war. Naturkraefte schon, die Sonne, den Wind, die Schwerkraft, den Schwefel. Aber keine Praesenz, die mich erwartet haette.
So wie in Lampedusa das Militaer. Als ich in der Inselhitze das Fluechtlingslager umschlich und mich beobachtet waehnte. Als ich riet, ob nur Soldaten oder auch uebers Meer Gekommene hinter den Zaeunen waeren.


Und dann die Nebenkrater.
Wie Mondkrater.
Zuweilen rauchend.
Bestaunt, begafft, umschritten.
Grau, schwarz, farbig, schwefelgelb.
Und ueber allem der boeige Bergwind, der das Gesicht trocknet.
Immer ein wenig Staub in der Luft,
und Schwefel.

Erst bei den Kraterabstiegen wurden meine Schuhe voll.
Mehrmals musste ich sie ausklopfen.
Wie Strandlaufen.
Schwarzen Staub auf den Waden hab ich bis in die Stadt hinuntergebracht.

Und ich wusste beim Abstieg:
Haetten unsere gewiften Provinzpolitiker hier etwas zu reden, so wuerden sie sich nicht mit Prestigeprojekten abgeben wie Berlusconi, der Sizilien mit Italien durch eine Bruecke verbinden wollte: sie wuerden die Hochleistungsbahn mittels des Jahrhunderttunnels mitten durch den Vulkan bauen. Der Ruhm Europas waere ihnen sicher.

Zum Rhythmus des Lebens. Catania

In * pulsieren die Raume.
Schon als ich hier ankam, musste ich durch die Maerkte dringen, durch Geschrei und Gerueche, um mein Hostel zu finden - und die Fleischhacker halfen mir - durch Gewuehl und Geschiebe mich schieben mit meinem Rucksack, an aufgeschichteten Fischleibern vorbei und ausgelegten Schweinehaelften, an Obstbergen und Salatbergen, Nuessen und Hueten.
Das war die Schwelle.
Am Nachmittag, als ich wieder hinaustrat, war die Gasse leer, wurden noch die Gehsteige gefegt und die Kisten verraeumt.
Leere Plaetze.
Verwaiste Cafes.
Bis zum Abend.

So kuendigte sich der Gang der Stadt an, den ich mitgehen wollte, und tappte gleich bei den ersten Schritten wieder ins Leere.
Marienfeiertag.
Alles geschlossen, leiser Wind ueber leere Plaetze.
Und dann noch eine Ueberraschung, als die Stadtpatronin gefeiert wurde, die heilige Agatha, von Boellerschuessen angekuendigt, so laut, dass Sirenen der Alarmanlagen losgingen, Hunde jaulten und Kinder weinten. Glocken wie Musik. Dann die Umzuege, mit allem, was Rang und Namen hat. Und schliesslich die Priesterschaft mit der Heiligen selbst, knochenweise im Glasgefaess, unter ausladender Glockenmusik.

Wie Blut wurden Menschen durch die Gassen und Plaetze gepumpt, lebende und tote, wie Blut durch Aterien, Venen und Kapillaren.
Systole und Diastole.
Laut und heftig,
leere und leise.

Aber der Rhythmus dieser Tage deutet auf einen anderen, welcher der Stadt noch viel mehr eingeschrieben ist.
Sichtbar auf Schritt und Tritt.
Alle paar Jahre ruehrt sich der Mongibello,
ruckt und drueckt unter seiner duennen Schale,
brodelt und kocht ueber,
auch bereits in diesem Jahrtausend.
Und dann waelzt sich wieder die Lava ueber die Haenge,
unbeeindruckt von menschlichen Anstrengungen,
schiebt sich hinunter auf die Stadt zu, unaufhaltsam,
unter flimmernder Luft knicken Baumstaemme und Hausmauern,
und darueber leuchten Feuerwerke bei Tag und bei Nacht,
und eine Steinkanonade prasselt auf die Daecher.
Wer wohnt dort?
Wer hat dort sein Haus gebaut in ruhigeren Zeiten?
Seit den alten Griechen wollten sich die Menschen diesen Kraeften stellen.
Aber beherrschen konnten sie sie nie.
Auch heute nicht.
Der Vulkan wird staerker und gefaehrlicher von Jahr zu Jahr.
Der Rhythmus Catanias ist zwischen Sein und Nichtsein.

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geschichte

Bitte sich zur Geschichte Sueditaliens zu informieren. Im Internet z.B. hier:
http://www.mein-italien.info/geschichte/normannen.htm
http://www.wikingers.de/italien-sizilien-und-die-normannen-teil-1/
Eine Zeittafel:
http://www.valindalen.de/Geschichtliches.html
Von den Normannen zu den Staufern:
http://www.zeno.org/Geschichte/M/Delbr%C3%BCck,+Hans/Geschichte+der+Kriegskunst/3.+Teil.+Das+Mittelalter/2.+Buch.+Der+vollendete+Feudalstaat/6.+Kapitel.+Der+Normannenstaat+in+Italien
Zu den Staufern:
Wie bedeutend waren sie wirklich? Video zur Ausstellung: http://www.youtube.com/watch?v=cGr8b43aMas
Zur Ambivalenz der Geschichte aus heutiger Sicht:
http://www.tagesspiegel.de/politik/geschichte/die-staufer-und-italien-des-kaisers-neue-kleider/1941632.html


Zum Aetna:
http://www.youtube.com/watch?v=cGr8b43aMas
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