Donnerstag, 23. August 2012

In Italien versinkt die Sonne nicht im Meer

Das Deck am Schiff zwischen Brindisi und Igoumenica ist eine Buehne. Man flaniert herum wie nach einer geheimen Choreografie, unter strenger Vermeidung jeden Blickkontakts. Wenn die schnarrende Stimme ertoent - attentione attentione - dann erstarrt alles in seiner Bewegung und verstummt, hingewandt zum Lautsprecher ueber dem quadratischen eisernen, gruen lackierten und mit gelben Kreislinien versehenen Personendeck in der Schiffsmitte, das auch als Hubschrauberlandeplatz dient, um augenblicklich, sobald die Nachricht ergangen ist, in der Bewegung fortzufahren, als haette die Unterbrechung nicht dieser Welt angehoert.
Wir fahren vor dem Sichelmond her, der sich seit Wochen weigert, ganz zu verschwinden, als haette er noch eine Rechnung offen.
Paerchen jeden Alters sind an Bord, Kinder tollen ueber das Deck und versuchen im Lauf Kunststuecke, an der Reling sitzen einige Kartenspieler, eine Basketballmannschaft durchstreift das Gelaende grimmigen Blicks, sodass das Deck auch ein Park sein koennte, in dem statt des Springbrunnens die feuchte Luft schmierig am Unterarm klebt und an jeder Stelle, mit der du etwas beruehrst.
Die Gesichter sind nicht die von braun gebackenen schmalgliedrigen Strandurlaubern, sondern gehoeren wettergegerbten Bauarbeitern aus dem Bergland, frisierten Jungakademikern, einigen heimkehrenden griechischen Toechtern, wuschelkoepfigen Philosophen, drei Geschaeftsmaennern mit Sacko, die selbst waehrend der Durchsagen nicht vom Handy lassen, einem Deutschen mit roter Kniehose, Kinnbart und Hornbrille, der immer wieder der Meeroberflaeche kontrollierende Blicke zuwirft, sowie einer Romafamilie mit mehreren kleinen braunhaeutigen Frauen und unzaehligen Kindern, von der ich aufrichtig hoffe, dass sie sich nicht auf dem Platz neben der Stiege niederlaesst zwischen meiner Bastmatte und der durchsichtigen Doppelluftmatratze des griechischen Paares.
Albaner mit knochigen Gesichtern, eine braungesonnte Diva auf breiten Pantoffeln, ihre wogende Weiblichkeit hochgehalten von einem Sommerkleidchen, eine griechische Bankerfamilie mit kreuzbraven Gesichtern und zwei wohlerzogenen Buben, die einander das Meer erklaeren.
Am Deck sind mehrere Aschenbecher angebracht, und wirklich rauchen die meisten und stauben ihre Zigaretten daran ab.Gerade steht breitbeinig die Diva ueber mir und klopft die Zigarette aus, und es koennte sein, dass sie dabei mich, der ich an der eisernen Rueckwand sitze und ins weisse Licht ueberm Schornstein schaue, mit einem milden Blick bedacht hat. Am Schiff von Genua nach Palermo hat mir die Saengerin, die in der Bar vor der unablaessig vorbeistroemenden Passagiermenge des Nachts stundenlang zu Musik vom Band sang und mir dabei recht verloren vorkam, weil alles redete und niemand sie beachtete, mehrere freundliche Blicke und ein Laecheln geschenkt, waehrend sie sang, und war mir von einem Ende der Bar bis zum andern gefolgt.
Amerikaner mit Bierflaschen treten ins violettblaue Nachtlicht und zeigen mit ausgestreckten Armen uebers Schiff bis zum Horizont, als wuerden sie beschreiben, was alles ihnen gehoert oder wo sie schon gewesen sind. Ein schmaler griechischer Geschaeftsmann mit weissem T-Shirt durchkreuzt diagonal das Deck und leuchtet dabei wie eine Hafenboje. Zwei Matrosen, einer mit Abzeichen auf der Schulter, der andere mit einem Schraubenschluessel in der Hosentasche, queren jede halbe Stunde den Platz, entweder mit dem Handy am Ohr oder einer Zigarette in der Hand.
Laengst hat sich die Sonne davongemacht, ohne das Meer beruehrt zu haben.Denn einen Fingerbreit ueber dem Horizont liegt eine undurchdringliche Dunstwand und verhuellt sie fuer die letzten Minuten des Tages, als wuerde sie sich schaemen, beim Eintauchen ins Nasse gesehen zu werden.
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