Nach der Grenze tasten

Samstag, 11. August 2012

Der dreidimensionale Blick. Agrigento und Porto Empedocle

In einer Nacht fiel ich wie ein Gluehwuermchen unter eine einsame Pinie inmitten des sarazenischen Olivenhains am Rande der blauen Klippen ueber dem afrikanischen Meer


^ das sind zwei Orte, die in den Raum gebaut wurden. Sie demonstrieren den Uebergang vom flachen Meer zur Steilstufe des Gebirgssockels. Die Hafenstadt am Meer, Agrigento an der Huegelkante. Dabei handelt es sich nicht um allerneueste Architekturtheorie, sondern bereits die griechischen Tempel vom 6. und 5. vorchristlichen Jahrhundert, erbaut von Kolonisten, beweisen den Sinn der Erbauer fuer die Raumtiefe vom Meer her. Agricento (das antike Akragas) schiebt sich auf Terrassen an den Felsen heran. Immer wieder oeffnet sich der Blick zwischen den Haeusern ueber die Ebene zur Kueste hin - die Bergseite wird von der jeweils naechsten Gelaendestufe dargestellt. Dieses Konzept wird von den zahlreichen italienischen Balkoenchen wiederholt, es zeigt sich aber auch in der Kommunikation zwischen den einzelnen Gebaeuden, sowie selbst im Baumaterial, das vom Fels gewonnen ist und diesen im Wohnraum weiterfuehrt.
Die Parks, Alleen und weiteren Zwischenraeume haben mich am meisten fasziniert. Denn die dreidimensionalen Licht- und Sichtachsen kalkulieren auch die sengende Sommerhitze ein. Waehrend der gluehend heisse Bahnhofsvorplatz - ein Erzeugnis der architektonischen Machbarkeitsphilosophie der letzten zehn Jahre - von Passanten bloss umschritten oder durcheilt wird, bieten die schattigen Plaetzchen des Parks kleinraeumig gegliederte Verweil- und Kommunikationsmoeglichkeiten, die stets genuetzt und genossen werden. Erhellend zu bemerken, von wem.

Porto Empedocle offnet jede Quergasse vom Hauptplatz zum Hafen hin, sodass Wasser und Schiffe auch in der Stadtmitte praesent sind. Zum Land hin heben sich puebloartig geschachtelte Haeuserfronten und bilden die Gelaendestufe ab.
Das mag den groessten Sohn dieser Stadt und ganz Siziliens, den Dichter und Nobelpreistraeger Luigi Pirandello, zu seiner dreidimensionalen Metapher ueber seine Geburt gebracht haben. Sein Geburtshaus befindt sich uebrigens in Caos, gerade zwischen diesen beiden 3D-Staedten.

Aber Porte Empedocle - und seine Bewohner - demonstrieren zugleich auch ganz deutlich, wem welche Dimension eroeffnet bzw. vorbehalten wird. Denn meine Befragungen von Beamten (Rathaus) und Akademikern (Apotheke) ergaben, dass kaum Bewusstsein und Anteilnahme vorhanden ist, wer in dieser Stadt noch untergebracht ist, und wo genau die aus Lampedusa deportierten Boat-People sind. Und nur die beiden jungen Maenner bei der Finanzpolizei am Hafen verstanden und respektierten, dass hundert oder mehr Afrikaner in der ehemaligen Lagerhalle untergebracht sind. In der Flaeche, ohne Sichtachsen.

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Mittwoch, 8. August 2012

Lampedusa

Von allen Flughaefen, die ich gesehen habe, erwahle ich, ohne viel nachzudenken, L'AEROPORTO A LAMPEDUSA zu meinem Liebsten.
So sauber und uebersichtlich ist nicht einmal Tirana, so freundlich und still auch Klagenfurt nicht, obwohl beide mit familiaerer Atmosphaere, so offen und hell bei weitem Heraklion nicht.
Ich gebe zu, dass der Charme des alten damaszener Flughafens, wo die Koffer nach der Ankunft auf dem Flugfeld neben dem Flugzeug aufgetuermt wurden, damit jeder sich einen aussuchen und ins Empfangsgebaede zuruckschleppen moege, beinahe unschlagbar war. Aber hier waere das gar nicht moeglich, weil neben der Landebahn gar kein Platz waere und das gelandete Flugzeug (eine EI-DFA der Meridiana) einige Male vor- und zurueckschieben musste, um ueberhaupt umdrehen und zum Empfangsgebaeude zurueckfahren zu koennen.
Allerdings werden in Lampedusa sowohl die Passagiertreppe als auch der Karren mit dem Gepaeck haendisch zum Flugzeug gezerrt, was ein schoener oekologischer Akzent ist im Petroleumgewerbe, und das Gewissen des Reisenden etwas entlastet. Nur dass der Wagenheber, mit dem das Laufrad der Maschine angehoben und mitsamt der ganzen Maschine zurueckgeschoben wird, ebenso mittels Hebelstange haendisch bedient wird, kann ich leider nicht bestaetigen, da ich bei diesem Manoever ja bereits in der Maschine sass.

Vollends unschlagbar ist aber, dass im Flughafen-Cafe bereits vor dem Abflug die ganze Flugmannschaft versammelt ist, Lotsen, Mechaniker, Besatzung, sodass sich jeder bereits vor dem Flug eine Lieblingsstewardess aussuchen kann (ich bin uebrigens bislang der einzige Fluggast - das sollte man einmal erlebt haben!), die dann nochmals hinter der Theke, beim Ceck-In, am Gate und beim Zeitungsverkauf anzutreffen und zu bewundern ist. Man trifft im Flugzeug also sozusagen auf alte Bekannte - was die uebrigens recht spaerliche kulinarische Versorgung waehrend des 1/2stuendigen Fluges ganz vergessen macht, der vom Steigflug anstandslos in den Sinkflug uebergeht.

Es sollte ueberdies erwaehnt werden, wie nahe die Start- und Landebahn bei der Stadt ist, sodass sich der Urlauber bereits beim Anflug ein Hotel aussuchen kann, und die Beschaeftigung eines Taxifahrers auf dieser Insel (der sich bei meinem Abflug noch an meine Ankunft erinnerte) eher caritative als wirtschaftliche Gruende haben mag.
Beim Abflug schliesslich reisst der Pilot, um die wenigen Meter der Beschleunigungsstrecke gut auszunuetzen, gleich nach dem Wegfahren wie uebermuetige Motorradfahrer die Schnauze hoch und taenzelt sodann auf den Hinterraedern noch einige elegante Kurven - was gewiss von der humorlosen EU bald verboten wird.

Sollte jemand meine Wahl beanstanden, so moege er sich doch selbst auf diese Insel begeben!

Dienstag, 7. August 2012

Der Tag, der mit ausgedehntem Schwimmen begann. Lampedusa

* ist ein karges Land, heiss und kratzig. Was man aber leicht vergessen kann, wenn man wie die tausend Italiener und ich im schattigen Cafe sitzt, oder (ohne mich) am Strand sich nach ein bisschen Plantschen im tuerkiesblauen Wasser ausruht unter Sonnenschirmchen, ein braungebranntes Gegenueber in Griffweite, nach dem sich die Passanten umdrehen.

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Aber es ist sofort erfahrbar, wenn du nur einige Schritte zu Fuss gehst ueber steinige Wege, den Disteln und Stachelpolstern ausweichend. Dort draussen im Westen (kaum 10 km vom Zentrum der Insel) ist militaerisches Sperrgebiet, denn da sind die Radaranlagen und die Flugabwehrkanonen - die keineswegs museal seien, wie mir die Soldatin freundlich und ernst versichert. Was aber mit doppeltem Maschendrahtzaun umspannt ist, das ist der Ort, wo die afrikanischen Bootsfluechtlinge gehalten wurden. Auffanglager. Willkommen. Die Aula Europas.
Nachdem ich das Areal von allen (Land-) Seiten umschritten und keine Menschenseele gesehen und gehoert hatte, wurde am Rueckweg ich selbst gesehen von einer Militaerpatroulle, und zwar gerade dabei, wie ich den Bootsfriedhof fotografiert habe. Mit den jungen Soldaten und der Soldatin entspann sich beinahe das charmanteste Gespraech, das ich auf dieser Insel gefuehrt hatte, und in dessen Verlauf wir einander nach und nach gestanden, ich, wer ich war und was ich wollte, sie ueber ihre militaerischen Aufgaben und ueber das Lager. Es war naemlich leer. Wochen oder Monate zuvor waeren alle Ankoemmlinge in andere Haeuser gebracht worden, ein Quartier der katholischen Kirche wurde erwaehnt. Als Preis fuer diese Informationen musste ich allerdings meine Fotos von den Booten loeschen - dabei blickte sie mir genau ueber die Schulter. (Zum Glueck war es mir bis dato nicht gelungen, die Display-Einstellung zurueckzusetzen, welche die gespeicherten Bilder nur stark verkleinert wiedergab. Dadurch erkannten sie die Bilder ihrer militaerischen Anlagen nicht, und ich verabschiedete mich von drei Bootsbildern)

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Also: Lampedusa hat sich, nach einem schrecklichen Jahr fuer Afrikaner und Lampedusi (so Eletta, die Cafebesitzerin), vom Anhaltelager getrennt, und brachte die Gestrandeten in kirchliche Haeuser. Vor wenigen Tagen und Wochen seien nun die letzten von ihnen entweder zurueck gebracht worden nach Tunis (140 km), oder nach Sizilien, grossteils nach Porto Empedokles. So kam ich auf die Insel, um nichts zu finden von dem Schrecken - Gott sei Dank!

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Heute eine Erscheinungsgeschichte

Ein Hervorgehen aus grundlosem Grund.
Ein Verschwinden der Zeit.
Und eine Neugeburt.

Die Geschichte ist kurz erzaehlt:
Mit einer Reihe von Vorhaben betritt man die Hauptstadt auf eigenen Fuessen.
Aber bereits der erste Punkt auf der Liste, eigentlich im Vorbeigang zu erledigen, wird sich so aufspielen, dass alles andere in den Hintergrund tritt..
Der Geldausgabeautomat rueckt keinen Euro heraus.
Er mag meine Karte nicht, die bisher in aller Herren Laender akzeptiert wurde.

Die nun einsetzende Z E I T D E H N U N G versetzt mich kurzerhand aus der Lage eines vorwitzigen Urlaubers, der noch mehr Plaene hat als Sand, Spass und Meer, in die Position eines Wartenden, auf Hilfe Angewiesenen. Und es gibt bei Gott mehr solche Menschen auf dieser Insel und anderswo.
Diese Dehnung gibt Raum, um die massgeblichen Kontakte herzustellen auf der Insel und in der Heimat, und sodann das Ergehen ihrer Botschaften zu erwarten.
Gerade diese Erwartung ist es, was die Zeit dehnt.
Das Ausstehende.

Beendet wurde die Dehnung durch ein Ereignis, das ebenso unvermittelt eintrat, wie es sich zuvor entzogen hatte. Denn einer der drei auf der Insel befindlichen Automaten, die ich bei jedem meiner Schleifengaenge fast den ganzen Tag ueber ritualhaft anzuwerfen versuchte, ohne dass dabei meine Zuversicht kleiner geworden waere, waehrend ich mich bereits auf die letzte aller Moeglichkeiten zubewegte, spuckte ploetzlich wieder Geld aus.

Ohne Uebergang.

Zuerst unerfindlich zurueckgehalten.
Nun gewaehrt.

Und das, meine Lieben, ist ein gutes Beispiel fuer das Walten der Welt von ihrem unnahbaren Grund her, ohne dass es einer aussergewohnlichen Erscheinung bedurft haette.
Was ist schon das Aussergewoehnliche

Montag, 6. August 2012

Ueber die Dauer einer Stunde

Der Camping-Manager hat mir in klapprigem Englisch erklaert, wie man von dem netten Vorort, wohin mich der Reisefuehrer gelockt hatte, wieder nach Palermo kommt. Zuerst Bus 616 bis zum Stadion Communale, dann Nummer 101 quer durch die Altstadt bis zum Hauptbahnhof. In der Annahme, dass fuer den Rueckweg dasselbe gelten muesse, kuerzte ich meine abendliche Suche nach einem Internet-Cafe ab und verliess die zuvor stundenlang durchstreifte Altstadt. Aus Sicherheitsgruenden, wie es gar nicht meine Art ist, traf ich schon vor 21 Uhr beim grossen Kreisverkehr vor dem Stadion ein und ging auf die mir angewiesene Haltestelle zu. Drei grosse Tafeln standen dort auf Stangen, doch den Bus 616 fand ich erst auf der der Wiese zugewandten Seite. Um sicher zu gehen, fragte ich auch noch Passanten, die mir die Richtigkeit der gewuenschten Einstiegsstelle bestaetigten. Nach etwa einer halben Stunde, als bereits unzaehlige 258er, 110er sowie einige 638er gehalten hatten, traf eine Pfadfindergruppe an der Haltestelle ein. Das beruhigte mich, denn ich nahm an, dass die Jugendlichen zu der Diskothek unterwegs waren, die direkt neben meinem Campingplatz einige Stunden um Mitternacht das offene Meer und den nebenan liegenden Platz beschallte.
Weiters erinnere ich mich an die wohlgebaute Latina, die das Wartehaeuschen mit mir teilte, an den skeptisch blickenden alten Mann, der in der Mitte der Bank sass, und an einige Teenager, die sich auf der Einfriedung der vertrockneten Blumenbeete niederliessen.
Als ein 615er hielt, sprang ich in den Bus hinein und hielt dem Fahrer den Zettel mit meinen Busnummern unter die Nase. Er dachte aber nicht daran, um meinetwillen etwas von seiner Route abzuweichen, was doch aufgrund der Naehe der Bezeichnungen nur ein geringfuegiger Umweg sein konnte. Auch bei anderen Bussen, die auf irgendeine Weise Aehnichkeit mit dem ersehnten 616er hatten, versuchte ich erfolglos mein Glueck. Ich hatte auf Italienerart tagsueber kaum gegessen und erwog jetzt, anstelle des sterilen Fischlokals in der Naehe des Campingplatzes bereits vorher im Dorf auszusteigen, wo ich beim Herfahren einige nette Strandlokale gesehen hatte.
Von meinemn Standplatz aus konnte ich bereits die Busse sehen, die an der gegenueberliegenden Abzweigung in den Kreisverkehr einbogen. Besonders die erste Ziffer der digitalen Anzeige war gleich zu erkennen und erweckte gleich meine Aufmerksamkeit, bei den anderen Ziffern wollte ich mich nicht gleich festlegen.
Erstaunlich viele Motorraeder und Roller zogen durch das Kreisrund, und bewundernd sah ich den leichtfuessigen Fahrzeugen nach, die fuer meine Stecke wohl kaum eine halbe Stunde gebraucht haetten. Da schlurfte ein riesiger Mann mit steifen Beinen spastisch auf die Station zu und fixierte die Wartenden mit starrem Blick, um sich dann dazuzustellen und dann und wann ein paar Schritte in verschiedene Richtungen zu machen. Spaeter sah ich ihn an der hellsterleuchteten Stelle am gegenueberliegenden Strassenrand xbeilig vor einem Gebuesch stehen und sich ueber das Eisengitterchen zu beugen. Immer wieder liefen einige der Pfadfinder in Zweier- oder Dreiergrueppchen ueber die Strasse, wohl um in einem fuer mich nicht sichtbaren Lokal etwas zum Trinken zu kaufen.
Zuweilen kreuzte einer dieser schnittigen Flughafenbusse die Fahrbahn, natuerlich ohne die stumpf Wartenden auch nur eines Blickes zu wuerdigen. Am naechsten Tag erfuhr ich dann, dass der Bus fuer die etwa 20km bis zum Flughafen auch eine Stunde braucht wie die Bahn, und dazu noch um einige Cents teurer ist. Waehrend meine Gedanken immer wieder zum erhofften Abendesen mit dem angenehmen kalten Weisswein abirrten und meine Blicke in Abstaenden auf die Latina trafen, hielt auf einmal ein 235er, und alle Pfadfinder sowie der Passant, der mir die Richtigkeit der Haltestelle versichert hatte, stiegen ein.
Der Mond, den ich hatte sumpfgruen hinter einem Hochhaus aufgehen sehen, ueberquerte mittlerweile die Siedlung und strahlte ein milchigfahles Licht aus. Jedes Mal, wenn ich mir nachdenklich ans Kinn fasste und Alternativen und Auswege erwog, waren die Bartstoppeln laenger geworden, und ich liess mich nun, ohne in meiner Zuversicht auch nur im Geringsten nachzulassen, auf die Bank nieder, die ich nur mehr mit einem alten Mann teilen musste. Ich bemerkte, dass die Fahrzeuge, die nun das Kreissegment durchqueerten, immer aelter und klappriger wurden. Eine Beiwagenmaschine ratterte wie ein Propellorflugzeug vorueber, spaeter sah ich einen alten Fiat ohne Fenster und ohne Licht. Auch die Wege, die sie beschrieben, schienen immer weniger zielgerichtet und stattdessen gelangweilt oder tollkuehn. Dass schliesslich tatsaechlich ein 616er gehalten und den alten Mann und mich, beide schweigend, in den abgelegenen Vorort am Strand befoerdert haette, kann ich mich kaum mehr erinnern. Meine letzten Tageseindruecke zeigen mehrere neonbeschienene Teller mit unzaehligen saugnapfbesetzten Krakenarmnen und von Spagettischlangen umwickelte Garnelenfuesschen.

Die Sizilianer

*sind sehr leicht von den anderen Italienern zu unterscheiden, was sich ohne Weiteres auf ihr insulaeres Vorkommen und auf ihre bewegte Geschichte zurueckfuehren laesst.
Beispielsweise sehen die hier im Fischrestaurant tafelnden Familien allesamt wie unauffaellige Deutsche aus, mit ihren Stoppelfrisuren und Kinnbaertchen, kahlen Koepfen und Spitzbaeuchen. Einzig die Kinder, die um 1/2 12 noch immer froehlich am Tisch glucksen, unterscheiden sie von den weiter noerdlich niedergelassenen Nachfahren der Normannen. Aber auch die Araber, die Jahrhunderte lang die Insel beherrschten, haben ihre Merkmale hinterlassen, nicht immer so deutlich wie bei dem marokkanischen Kellner, dessen Gesichtshaus sich ueber den Backenknochen spannt, wenn er laechelt. Aber die schmalen Hakennasen der Frauen sind erwiesenermassen das Andenken dieser Vorfahren, und ihre schwarzen Locken und dunklen Augen bestaetigen dies fuer jeden Zweifler. Ich habe aber auch schon langhaarige maennliche Exemplare mit Pferdeschwaenzen und Taetowierungen gesehen, die breitbeinig am Flughafen oder in Banken herumstehen und mit grimmigen und zugleich gelangweilten Blicken umherschweifen und ihre roemische Herkunft nicht verbergen koennen. Das heisse Temperament, das gegen Mitternacht aus den Braungebrannten hervorbricht, ist jedoch eindeutig eine spanische Hinterlassenschaft, zusammen mit den barocken Palazzi und Kirchenausstattungen. Dennoch kann das alles nicht verhindern, dass die lange Zeit der byzantinischen Herrschaft auch zum Ausdruck kommt in den schlanken, schmalgesichtigen Frauen mit der broncefarbenen Haut und dem honigblonden Haar, das meist in Knoten am Hinterkopf gedreht ist und freche Spitzen in alle Richtungen emporstreckt.

Palermo

* braucht gar keine Mafia, die Stadt hat auch so genug mit sich zu tun.
Die gewundenen Gassen lassen dann und wann einen Bergruecken in der Ferne erscheinen, aber niemals das Meer. In Wellen dringen sie in die Tiefe der Stadt und verzweigen sich an den unuebersichtlichsten Stellen.Wo du kaum mehr Luft bekommst in den dampfenden Kuechenausduenstungen, tritt ploetzlich unerwartet ein Platz zur Seite und laesst Licht herein in die Haeuserschlucht, aber nur fuers Auge, nicht fuer die Kamera, die mehr Distanz braeuchte - geoeffnet und versteckt zugleich - und natuerlich fuer die Waesche, die auf den Eisenbalkonen haengt.
Die Dichte dieser Stadt findet den besten Ausdruck in den Strassenmaerkten, wo sich bunte Menschenmengen durch aufgeschichtetes Gemuese draengen und mit Eis beschwerte Fischleiber, mit bisweilen furchterrregend starren Blick und bizarren Gestalten. Sizilianer preisen mit arabischen Donnerstimmen ihre Waren an, Schwarzafrikaner schleppen Saecke oder thronen mit stoischen Minen in Hauseingaengen. Chinesen oder Latinos balancieren Trauben von weissen Einkaufssaecken durch die Verkaufstischemit entschlossenen Gesichtern , auf denen man die geplanten Mittagsgerichte zu erkennen meint, nach Hause. Nicht einmal in den kleinen Geschaeften ist ein Entkommen, wo in dunklen Eingaengen wieder Gedraenge wartet, dass kaum ein Blick auf die Regale schliessen laesst, was hier zu kaufen waere.
Nur die Kirchen. Dort herrscht Stille. Selbst die Ventilatoren sind hier geraeuschlos, bestaetigen umso mehr die Bewegungslosigkeit. Und so scheint es sich wie aus der Natur zu ergeben, dass stets einige Menschen in den Baenken sitzen, wie Vergessene vom schnellen Gang der Stadt

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Donnerstag, 2. August 2012

Genua

* ist eine solide Stadt. Die Strassen verlaufen entweder quer zum Abhang und daher in gleicher Hoehe zum Kai, oder vom Berg direkt steil zum Meer hinunter. Da weiss man, woran man ist.
Die Menschen gehen anstaendig und ernst umher, laut sind nur die Baumaschinen. Die Afrikaner tragen schwere Saecke am Ruecken oder verkaufen Schnickschnack, wollen aber nicht fotografiert werden. Auch ich selbst habe noch nicht gelacht, sondern mich gestern, nach durchbahnter Nacht, quer durchs Stadtbild bewegt und alles erreicht, was im Buch steht.
Marcus arbeitet im Vertrieb landwirtschaftlicher Produkte und wirft ein ernstes Licht auf die Beschaeftigung von Migranten in den Regionen von Neapel bis Apulien. In Sizilien aber nicht, dort sei eine ganz andere Situation, von Tradition und doerflichem Leben bestimmt. Nun, wir werden sehen!

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Sonntag, 29. Juli 2012

Grenzen innerhalb Österreichs - und GRENZÜBERSCHREITUNGEN

Zum Migrationsfest konnten wir Gäste einladen, die ansonsten nur HIER, aber nicht willkommen sind. So ist es mitsamt der An- und Abreise doch ein fröhliches Fest geworden!

Siehe:
http://www.youtube.com/watch?v=ulN2j7qH78s

Freitag, 27. Juli 2012

Die Gabe der Marginalität. Von Oksana Zabuzhko

Jede Abreise ist im Grunde eine kleine Probe des Todes, mit einem Unterschied nur: Der Tod - welcher Tod auch immer - gibt uns nie eine so barmherzige Gelegenheit, hinter uns aufzuräumen.

***

Du bist noch "hier", noch in dieser Phase deines Lebens, betrachtest sie aber schon von der anderen Seite, mit distanziertem Blick, in Kinozeitlupe ... - und wunderst dich wieder einmal, wie schnell du an jedem neuen Ort, als wärst du eine fest im Boden sitzende Weide, unzählige weit verzweigte Wurzeln aus eng verflochtenen Anlässen und Verpflichtungen schlägst.

***

Das Verweilen an der Grenze zwischen "Nicht-mehr-hier" und "Noch-nicht-dort". Diese Grenze aber, schmal und schwer erkennbar, wie es sich für eine Grenze gehört, muss man erst einmal fühlen, und nicht bloß überspringen.
Kurz Gesagt: nötig ist die Gabe der Marginalität.

***

Hartnäckig, auf Küken-Art, jedes schützende Ei aufzuhacken, und das mit einem einzigen meschuggenen Ziel: den Kopf nach draußen zu schieben. Etwas Ähnliches kommt, so sagt man, unter Bergsteigern vor oder denen, die im Krieg waren: Wer einmal den scharfen, narkotisierenden Trank der tödlichen Gefahr und der sie begleitenden blitzschnellen Anspannungen aller inneren Reserven gekostet hat, spürt nicht mehr den Geschmack eines ausgeglichenen, normal-sicheren Lebens. Es schmeckt ihm zu fade, und so quält er sich und sehnt sich insgeheim nach einer neuen Ration Drogen.

***

Wie einer von den Russen treffend bemerkt hat, ist die Gabe des Schriftstellers die Gabe, aus dem Leben herauszufallen und dabei die Erinnerung daran zu bewahren. Sozusagen die Gabe der Selbstmarginalisierung, des Sich-Versetzens an den unbedruckten Rand, außerhalb der Klammern, die die Realität des Hier-und-Jetzt umschließen, um sie "von außen", "von der Seite" mit ästhetisch-formbildendem Blick zu erfassen und in Worte zu "packen".

+++

Die Massengesellschaft mit ihrem wahrlich barbarischen Drang zur Einebnung aller und jeglicher Grenzen und Abgrenzungen, hat alles daran gesetzt, den ewigen Antagonismus zwischen Leben und Schreiben auf die brutalste und wirksamste Weise niederzutrampeln: durch seine Entäußerung als Ware.

+++

Offenbar liegt es daran, dass die Menschheit dicht an jener Grenze angelangt ist, hinter der es keine Menschheit mehr gibt - und keiner weiß, ob es da überhaupt etwas gibt und überhaupt etwas bleiben wird außer kosmischer Finsternis. Und auf dieser Grenze leben kann man wirklich nur mit fest geschlossenen Augen.

+++

Alle sind wir heute auf diesem Planeten "Marginale", Rand- und Grenzbewohner, ausnahmslos alle, und nicht bloß die dreihundert Millionen Kriegsflüchtlinge und wer weiß wievielen hundert Millionen Emigranten, und nicht bloß die Völker jener Länder, die sich ... an den Rand der Geschichte gedrängt fühlen, obwohl sie zahlenmäßig die Mehrheit bilden. ... Wir sind Grenzbewohner allein aufgrund der Tatsache unserer Artenzugehörigkeit zum Homo sapiens, dem großen Marginalen, dem freiwillig aus Mutter Natur Vertriebenen. Jahrhundertelang nagte er fleißig an der Nabelschnur, die ihn mit ihr verband. Es bleibt fast nichts mehr, buchstäblich ein dünner Faden, ein paar lächerliche Fasern. Noch trägt uns die Erde, sichtlich aber nur mit größter Mühe, mit enormen, und ständig wachsendem Widerwillen.

(Graz, November 2002)
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