Die Befreiung. Syracusa

Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich
Damon, den Dolch im Gewande;
Ihn schlugen die Häscher in Bande.
“Was wolltest du mit dem Dolche, sprich!
Entgegnet ihm finster der Wüterich. –
“Die Stadt vom Tyrannen befreien!"
“Das sollst du am Kreuze bereuen."


In der bruetenden Samstagspaetvormittagsstille, als ich um Ecken schlich und rechtwinklig geschnittene Palazzi bemass nach Geratewohl, so machte ich doch manche Entdeckung. Ein Internet-Point gewaerte mir eine Pause, und dann zuletzt auch eine Einsicht, dass es naemlich ein Hostel gaebe in der Stadt. Ich fand es auch in der wirklichen Welt, in Bahnhofsnaehe, allein das letzte Bett war gerade vergeben. Ebenso ergings mir bei der dort empfohlenen Adresse, und spaeter noch einmal. Jedesmal war mir wie von Geisterhand jemand zuvorgekommen, und ich meinte bereits aus den Augenwinkeln den Schatten zu spueren der Vorbeihuschenden. Und ich war daran, aufzugeben die Suche und die Stadt, und tat das kund, und machte noch einen, letzten, Versuch. - Warum denn immer alles bis an die Grenze gehen muss.

Eine junge Dame oeffnete mir mit Wolle im Haar, und fuehrte mich in ein winziges fensterloses Zimmer, zu einem vernuenftigen Preis, und kuendigte an, selbst das Fruehstueck ins Zimmer zu bringen.

Von da an war ich frei.

Nun ueberschritt ich die Bruecke zur Halbinsel Ortygia, und betrat ein zweites Venedig. Keine Gasse, die nicht aufs Meer ging. Fassaden zum Meer, Festungsmauern, Ausblicke. Aber auch zum Land hin gab die Stadt das Meer wieder. Denn die Gassen verliefen in Wellen. Kurven, Schlangenlinien, aufwaerts, abwaerts. Das muss man einmal gesehen haben. Dann die Fensterboegen. Kuppeln. Und sogleich uebertrug sich das Wogen des Meeres auf die flanierende Menge.

Doch wachsend erneut sich des Stromes Wut,
Und Welle auf Welle zerrinnet,
Und Stunde an Stunde entrinnet,
Da treibt ihn die Angst, da faßt er sich Mut
Und wirft sich hinein in die brausende Flut
Und teilt mit gewaltigen Armen
Den Strom, und ein Gott hat Erbarmen.


Der grosse Hoehepunkt: der Dom. Schon der Platz in einem Halbrund. Die Doppelsaeulen am Portal rund, gewellt, anschwellend. Und, um es eindeutig zu machen: Ganz oben mit Blick hinaus aufs Meer thronte die muetterliche Jungfrau in aller Weiblichkeit, die Kirche oeffnend fuer Suchende das Ferne und Nahe.
Und wie zur Bestaetigung woelbt sich die Laengsseite des Doms, darin noch die Saeulen des Athenetempels zu erkennen waren, der hier errichtet wurde zum Anlass des Sieges ueber die athenische Flotte, deutlich nach aussen, einen Bogen beschreibend. Immer noch heisst der Platz davor nach der Minerva, mit Athenas roemischem Namen. Auch Diana, mit dem Bogen aus dem Brunnen zielend, aus dem Wasser!, von Pferden und Kriegerinnen umgeben, herrscht hier, und ueber allen, den Syrakusern am naehesten, Lucia, die Stadtpatronin - ihre Kirche gegenueber, mit geschwungen-gedrehten Saeulen. Alljaehrlich werden ihre Reliquien durch die gewellten Gassen getragen, um die Stadt zu benetzen mit ihrer geduldig-treuen Gegenwart.

So weiblich ist die Meeresstadt, so lebendig erhebt sie sich ueber die schachbrettartige Festlandsstadt, in der Tyrannen herrschen moegen.
Hat nicht aber Damon den Freund befreit UND den Feind ueberzeugt, als er die Schwester zur Hochzeit fuehrte?

Immagine-058

Immagine-057

Immagine-066

Immagine-068

Immagine-070

Immagine-071

Immagine-076

Immagine-085

Immagine-086
logo

grenzgänger

Aktuelle Beiträge

Text zu Text. Ägypten...
Der Morgen in Luxor am Hotelbalkon/ ein Haus aus der...
grenzwärtig - 24. Aug, 11:57
Tell Amarna
Die Königsresidenz des Ungeliebten. Das Beste an...
grenzwärtig - 26. Jan, 11:34
Ägypten ergangen III
In Hurghada bin ich auch geschnorchelt. Ich habe nur...
grenzwärtig - 30. Dez, 17:37
Ägypten ergangen II
Das Katharinenkloster liegt inmitten steiniger dunkler...
grenzwärtig - 24. Dez, 17:46
Ägypten ergangen I
Die Mose-Reise begann eigentlich am Busbahnhof von...
grenzwärtig - 22. Dez, 23:41

Meine Kommentare

Neuen Weblog?
Ich wollte dringend einen neuen Weblog anlegen für...
info - 24. Jun, 13:56
Achtung Geschichte
Ich moechte den werten Leser>die Leserin auf einen...
grenzwaertig1 - 31. Jul, 23:42
Hallo Schlagloch!
Der naechste Orientabend waere sicher eine gute Gelegenheit...
grenzwaertig1 - 31. Jul, 16:28
Der entgrenzte Mensch
KOMMENTAR ZUR JÜNGSTEN BIOETHIKKOMMISSIONS-ENTSCH EIDUNG...
grenzwaertig - 30. Sep, 18:59
Sehr herbstlich
und philosophisch bist du geworden! Sinnierend wie...
Gedankenbilderbuche - 30. Sep, 18:49

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Status

Online seit 4338 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 24. Aug, 11:57

Credits

Besucher


beobachtungen
exodus und einkehr
geschichte
Nach der Grenze tasten
reiseroute
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren